Nicht mehr an Aids sterben, sondern mit HIV leben

Aller Ursprung ist eben doch weiblich. Die Geschichte der AIDS-Hilfe Paderborn geht zwar nicht auf die Urmutter Eva zurück, aber auf ein Frauenzentrum, das in einem ehemaligen Tante-Emma-Laden mit großen Schaufenstern zur Straße hin untergebracht war. Dort hatte eine Gruppe von acht schwulen Männern unter dem Namen „Paderborner Aktion Homosexualität“ Asyl für ihre wöchentlichen Treffen gefunden.

„Das war schon eine besondere Form des Coming-outs“, erinnert sich Reinhard Klenke, der die Gruppe damals mitbegründet hat. „Wir saßen dort wie auf dem Präsentierteller, und draußen schlichen einige Männer herum, ohne hereinzukommen. Es gab aber auch Angriffe und offene Drohgebärden.“

Die 145.000-Einwohner-Stadt Paderborn sei damals ihrem Ruf, katholisch, klerikal und ländlich zu sein, „in jeder Beziehung gerecht“ geworden. „Für uns war es ungeheuer wichtig, uns auszutauschen und Kontakte zu anderen Schwulengruppen in Berlin und Köln aufzubauen, zu denen wir auch Reisen organisiert haben.“ Der heutige stellvertretende Geschäftsführer der AIDS-Hilfe NRW und Koordinator der landesweiten Kampagne Herzenslust ist „in der Zeit zum Netzwerker geworden“.

Diese Fähigkeit kam Reinhard Klenke zugute, als aus der inzwischen in „Schwul in Paderborn“ und auf 20 Mitglieder angewachsenen Gruppe im Februar 1987 die AIDS-Hilfe Paderborn gegründet wurde. „Der Vorteil an einer so überschaubaren Stadt ist, dass man schnell eine Vernetzung herstellen kann – hin zur Drogenberatung, dem Gesundheitsamt und dem Sozialdezernenten“. Die „gestandenen Konservativen“ im Gesundheitsamt hätten damals zum ersten Mal „offiziell“ mit schwulen Männern zu tun gehabt. „Im Prinzip war ja das gesamte Gesundheitswesen mit Aids völlig überfordert, und deshalb waren sie heilfroh, dass sich eine Gruppe des Themas annahm und sie vom Ruch der Hilflosigkeit befreite.“

„Wir wussten selbst noch nicht viel über HIV und Aids“

Die Arbeit der neuen Aidshilfe begann mit einer telefonischen Beratung in den Privatwohnungen der Gründungsmitglieder und ersten Info-Veranstaltungen in der evangelischen Studentengemeinde, die über Aushänge an der Uni und Inserate in alternativen Szenezeitungen bekanntgemacht wurden. „Natürlich haben wir damit nur einen kleinen Teil der Bevölkerung erreicht, und unser Problem war ja auch, dass wir selbst noch nicht so viel über HIV und Aids wussten. Wir haben damals Rolf Rosenbrocks Buch ‚AIDS kann schneller besiegt werden’ wie eine Bibel verschlungen. Mit der Botschaft, dass man auch in den Zeiten von HIV weiter Sexualität erleben kann, war das ein richtiger Mutmacher.“

Apropos Bibel: Während die evangelische Kirche den Verein unterstützte, hatte die dominierende katholische Kirche zwar kein Problem mit dem 1992 aufgestellten ersten Spritzenautomat, verhinderte aber, dass dieser auch mit Kondomen bestückt wurde. Bei einem eher distanzierten Verhältnis ist es bis heute auch geblieben: „Es ist mehr ein Leben und Leben Lassen. Wir haben es inzwischen aufgegeben, da etwas zu verändern“, sagt Lena Arndt, Sozialarbeiterin im dreiköpfigen Team der AIDS-Hilfe Paderborn.

Ein großer Meilenstein

Dafür gab es eine andere grundlegende Veränderung: Als Lena Arndt 2001 ihre Stelle antrat, hatte ihre Vorgängerin sie noch auf viele Todesfälle vorbereitet. „Das hat sich so nicht bewahrheitet. Für uns ist es ein großer Meilenstein, sagen zu können, dass es heute nicht mehr darum geht, an Aids zu sterben, sondern mit HIV zu leben.“

Mit Lena Arndt, die aus der autonomen feministischen Frauenarbeit kommt, schließt sich gewissermaßen der Kreis zum Ursprung der AIDS-Hilfe Paderborn, in der Angebote für Frauen großgeschrieben werden. Beispiele sind die Fotoausstellung „Gezeichnete Körper?!“, die die Lebensrealitäten HIV-betroffener Frauen in der Öffentlichkeit sichtbar machte, und „APFEL“, ein Projekt zur Verbesserung der Präventionsarbeit für osteuropäische Migrantinnen.

Mit rund 40 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Präventionsteam, der Herzenslustgruppe, der Backstage- und der Aktions- und Sammelgruppe geht die AIDS-Hilfe Paderborn nun in die Zukunft. Als wesentliche Herausforderung sieht Lena Arndt eine prinzipielle Richtungsklärung – „bleibt Aidshilfe Aidshilfe, oder wird sie eine umfassendere Gesundheitseinrichtung?“ – und das Dauerthema einer gesicherten Finanzierung. Zumindest in der letzten Krise, als der alte Hausbesitzer die Räume kündigen wollte, hatte der Verein die volle Unterstützung von Kreis und Stadt. „Unsere Arbeit findet viel Respekt und Wertschätzung“, sagt Lena Arndt. „Auch unser doch eher konservativer Landrat zeigt Flagge und geht mit uns gemeinsam zur Nacht der Solidarität auf die Straße.“

In der nächsten Zukunft nach der Jubiläumsfeier steht jedoch erstmal der Karneval an. Die AIDS-Hilfe beteiligt sich mit Bollerwagen und einer Fußgruppe am Umzug durch Paderborn. Ihr Motto: „Liebe ohne Grenzen“.