Kommentar: Wichtiger als die „Quad-Pille“ gegen HIV ist Konkurrenz bei den Boostern

Die erste Vierfachkombination von HIV-Medikamenten hat sich in einer amerikanischen Studie als wirksam erwiesen. Die Forscher erhoffen sich davon eine Erleichterung der Therapie. Zu Recht?

Das neue Mittel ist die erste feste Kombination mit einem Integrase-Hemmer (Elvitegravir). Substanzen dieser Gruppe verhindern den Einbau der HIV-Erbinformation in das Erbgut infizierter Zellen, indem sie das Enzym Integrase blockieren.

In einer in Boston (USA) durchgeführten Studie erhielten 352 Patienten ein Jahr lang eine Dreierkombination und 348 die neue Viererkombination („Quad-Pille“). Ergebnis: Mit der Quad-Pille konnte die Viruslast bei 87,6 % der Patienten unter die Nachweisgrenze gesenkt werden, in der Vergleichsgruppe gelang dies bei 84,1 %.

Sollte die US-Arzneimittelbehörde die Quad-Pille zulassen, wäre bald ein weiteres Medikament für die einmal tägliche Einnahme verfügbar. Das Forscherteam verspricht sich davon eine Erleichterung der HIV-Therapie.

Stellt die Quad-Pille aber tatsächlich einen Fortschritt dar? Mit Atripla® und Eviplera® gibt es ja bereits Komplettkombinationen in einer einzigen Tablette. Vielen Patienten ist es aber im Grunde egal, ob sie abends zwei oder nur eine Tablette einnehmen. Ob durch eine so unerhebliche Reduktion der Pillenzahl die Therapietreue deutlich gesteigert wird, ist fraglich.

Die eigentliche Nachricht ist: Mit dem in der Kombination enthaltenen Wirkstoff Cobicistat steht endlich ein zweiter „Booster“, also Wirkverstärker, zur Verfügung. Viele HIV-Medikamente – so etwa fast alle Proteasehemmer und auch der in der neuen Quad-Pille enthaltene Integrase-Hemmer Elvitegravir benötigen einen solchen Booster: Er hemmt den Abbau der Medikamente in der Leber und hält so die Wirkstoffkonzentration im Blut über viele Stunden in einem wirksamen Bereich.

Statt in einer Kombipille bräuchten wir diesen neuen Booster aber als Einzelmedikament, damit der „alte“ Booster Norvir® endlich Konkurrenz bekommt. Norvir®-Hersteller Abbot hat nämlich über viele Jahre nur Kapseln oder Tabletten in der 100-mg-Dosierung auf den Markt gebracht – zu hoch dosiert für Kinder und Personen mit niedrigem Körpergewicht. Und der Norvir®-Saft ist wegen seines schlechten Geschmacks keine wirkliche Alternative. Hoffentlich kommt jetzt Bewegung in den Booster-Markt.

Dass der Pharmakonzern Gilead, der alle drei Kombinationspillen vertreibt, die „Einmal-pro-Tag-Tablette“ so stark bewirbt, hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Denn mit der Markteinführung dieser Präparate beginnt eine neue Patentlaufzeit. Wenn die Patente für die älteren Einzelsubstanzen in wenigen Jahren auslaufen und dann als Generika günstig angeboten werden können, kann Gilead diese Substanzen nach wie vor teuer in der Kombinationspille verkaufen.

(as)

 

Quellen:

Meldungen der Wiener Zeitung, des Kurier und des Standard (alle Österreich) vom 2. Juli 2012

DAH-Meldung HIV-Behandlung: Quad-Pille in Sicht vom 4. April 2011