Von grauen Haaren und Ausweiskontrollen: 25 Jahre AIDS-Hilfe Emsland

Gründungsmitglied Heiner Rehnen berichtet über die Bedingungen der Prävention im Emsland

1.614.034 graue Haare, 101.401 Telefonate, 53.000 gefahrene Kilometer, 5.843 Ausweiskontrollen im Justizvollzug – das ist die nur zum Teil ernst gemeinte Bilanz der AIDS-Hilfe Emsland in Lingen. Zwar sind einige der Vorstände und Mitarbeiter schon seit vielen Jahren dabei und in Ehren ergraut, doch Zeit zum Haarezählen bleibt ihnen nicht.

Der Landkreis Emsland ist mit knapp 2.900 Quadratkilometern der sechstgrößte in Deutschland und größer als das Saarland. Er teilt sich 60 Kilometer Grenze mit den Niederlanden, stößt im Norden an Ostfriesland und umfasst neben Lingen mit seinen 52.000 Einwohnern kleinere Städte, Ortschaften und Dörfer mit klangvollen Namen wie Haselünne, Nordhümmeling und Dörpen.

Heiner Rehnen hat die Aidshilfe im Oktober 1987 mitgegründet und gehört ihr seitdem mit einigen Unterbrechungen in wechselnden Funktionen an. Wenn er im Einzugsgebiet unterwegs ist, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: „Im letzten Jahr hat in einem Dorf bei zerstrittenen Nachbarn einer dem anderen die Post abgefangen und herausgefunden, dass dieser HIV-positiv ist. Der Mann musste dann durch einen regelrechten Spießrutenlauf. Da hilft eigentlich nur Wegziehen in die Stadt, und wir können nur versuchen, ein bisschen Heimat für die Leute zu sein.“

Es gibt aber auch die andere Seite: Im Emsland denkt man pragmatisch und schließt auch schon mal ungewöhnliche Bündnisse. Die Aidshilfe hat seit vielen Jahren einen Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt und verkauft im Advent Kaffee und Kuchen in einem Gartencenter. Dadurch wurden zwei örtliche Schützenvereine auf sie aufmerksam und boten ihr an, auch beim Schützenfest den Kaffeestand zu übernehmen. Zu allen Wegbegleitern gehörten auf der Jubiläumsfeier deshalb auch zwei Schützen-Abordnungen im vollen Ornat.

Ein Teil der heute rund 30 Klienten konnte leider nicht mitfeiern: Sie sind Insassen einer der vier Justizvollzugsanstalten im Umkreis, die von Heiner Rehnen, seinen beiden Kolleginnen Martina Groß und Christina Nowara-Rduch sowie ehrenamtlich Engagierten betreut werden. Die Aidshilfe hatte ihre JVA-Arbeit 1997 als Teil des Modellprojekts zur Spritzenvergabe in der Haft aufgenommen, das 2003 nach einem Wechsel der Landesregierung eingestellt wurde. „Das war schlicht eine Katastrophe“, erinnert sich Heiner Rehnen. „In dem Programm waren zwanzig, dreißig Leute, die auch Mitgefangene mit sauberen Spritzen versorgten, und dann war das von einem auf den anderen Tag illegal. Die Spritzen, die jetzt auf den Stationen die Runde machen, sehen schrecklich aus. Mit Gesundheitsförderung hat das nichts zu tun.“

Umso wichtiger ist die Präsenz der Aidshilfe, die für ihre offenen Teestuben und festen Gesprächsgruppen nicht nur die rigiden Regeln im Strafvollzug über sich ergehen lässt und viel Frust der Inhaftierten auffängt: Sie hat sich auch in langwierigen Verhandlungen eine Landesförderung für diesen Teil ihrer Arbeit erkämpft, um ein kontinuierliches Angebot aufrechterhalten zu können.

Für die nächsten Jahre rechnet Heiner Rehnen mit einer weiteren Verschlechterung der ärztlichen Versorgung. Schon jetzt müsse man in Lingen bis zu sechs Monate auf einen Termin beim Facharzt warten und weite Anfahrten in Kauf nehmen. Deshalb werde das Fachwissen der Aidshilfen gerade zu sexuell übertragbaren Infektionen an Bedeutung gewinnen. Er kann sich vorstellen, „dass wir mehr im Vorfeld von ärztlichen Leistungen gefragt sind, gerade wenn es um Beratung oder Testangebote geht“. Kurzum: Die Vision der AIDS-Hilfe Emsland, den Jahrestag der Vereinsauflösung feiern zu können, wird wohl noch Zukunftsmusik bleiben.

(af)