Generation HIV

Menschen mit HIV haben heute gute Aussichten auf eine annähernd normale Lebenserwartung. Doch was ist mit der Lebensqualität? Zwei Studien aus Österreich und Großbritannien geben Antworten.

Beispiel Österreich: Alles positiv – oder?

„Die Patienten sind ihrem Leben gegenüber grundsätzlich sehr positiv eingestellt. Mehr als 90 Prozent sind optimal therapiert.“ Das sind zentrale Ergebnisse einer österreichischen Umfrage unter 180 Menschen mit HIV (davon 163 Männer), die in drei österreichischen HIV-Zentren behandelt werden.

Horst Schalk, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft niedergelassener Ärzte zur Betreuung HIV-Infizierter (ÖGNÄ-HIV) und Allgemeinmediziner in einer der drei teilnehmenden Praxen, hat noch weitere Zahlen parat: 78 Prozent der Patienten fühlen sich vom Partner, 72 Prozent vom behandelnden Arzt sehr gut unterstützt – vom eigenen Vater dagegen nur 17 Prozent, von Arbeitskollegen gar nur acht. Das verwundert nicht: „Nur 25 Prozent der Mütter, 16 Prozent der Väter und 33 Prozent der Geschwister wissen über die Infektion Bescheid. Nur bei jedem Dritten sind die Arbeitskollegen informiert“, sagte Schalk der österreichischen Tageszeitung „Kurier“.

78 Prozent fühlen sich vom Partner sehr gut unterstützt.

Nicht alles also ist positiv. 94 Prozent der befragten Patientinnen leiden zudem seit Beginn der Therapie unter körperlichen oder seelischen Nebenwirkungen, so Schalk. Am häufigsten seien Müdigkeit, Verdauungsprobleme und Ängste – vor einem frühzeitigen Tod, dem Bekanntwerden der Infektion und vor der Ansteckung anderer. Dazu zitiert der Kurier Helmut Garcia, den Vorsitzenden der österreichischen Selbsthilfegruppe „Positiver Dialog“, mit folgenden Worten: „Nicht das Virus ist tödlich, sondern die Stigmatisierung durch die Mitmenschen – das erzeugt psychische Schmerzen.“

„Stigmatisierung erzeugt psychische Schmerzen.“

Beispiel Großbritannien: HIV bei Menschen über 50

Auf der Welt-Aids-Konferenz in Wien stellte der Terrence Higgins Trust (THT) aus London, eine der großen HIV-Organisationen in Europa, die ersten Ergebnisse der Studie „50 Plus“ vor: Zusammen mit Age UK und der Joseph Rowntree Foundation hatte der THT insgesamt 410 HIV-Patienten über 50 zu ihrer Lebenssituation befragt – etwa jeden Fünfundzwanzigsten aus dieser Altersgruppe der Infizierten.

Die Ergebnisse: Ältere Menschen mit HIV haben ein doppelt so hohes Risiko für Bluthochdruck, Nieren- und Leberprobleme sowie Arthritis wie ihre nicht infizierten Altersgenossen. Außerdem sind sie finanziell schlechter gestellt und haben weniger für ihren Lebensabend auf der hohen Kante – viele sind sogar in ernsten finanziellen Schwierigkeiten.

Immer mehr HIV-Positive sind über 50.

Kein Wunder also, dass drei Viertel der Befragten befürchten, später auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Und auch bei ihnen spielt die Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung eine wichtige Rolle: „Falls ich einmal pflegebedürftig werden sollte, befürchte ich, dass sich das Personal als genauso schlecht informiert und vorurteilsbeladen erweist wie die Allgemeinbevölkerung“, sagte einer der Befragten.

Was tun!

THT, Age UK und die Rowntree Foundation sagen: Die Medizin hat dem Leben mit HIV mehr Jahre gegeben. Jetzt müssen wir den Jahren auch mehr Leben geben (übrigens ein altes Motto der Deutschen AIDS-Hilfe). Um das zu erreichen, fordern sie unter anderem Verbesserungen im Gesundheitssystem, um älteren Menschen mit HIV den Zugang zu Informationen und angemessenen Behandlungsmöglichkeiten zu erleichtern. Außerdem müsse das Engagement gegen Homophobie, die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und die Altersdiskriminierung verstärkt werden. Und nicht zuletzt gelte es, die Zusammenarbeit zwischen HIV-Organisationen und solchen Einrichtungen zu verbessern, die sich um die Belange älterer Menschen kümmern.

Den Jahren Leben geben.

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) plant derzeit ebenfalls eine Bedarfsanalyse zur Lebenssituation von Menschen mit HIV/ Aids ab 40 – die sei derzeit nicht hinreichend bekannt. Sicher sei nur, dass diese Gruppe immer größer werde – und dass dies Konsequenzen für die Versorgungslandschaft haben müsse. Welche das sein werden? Seien wir gespannt!

(Holger Sweers)

Quellen
http://www.oegnae-hiv.at/Lebensqualitaet_und%20_ART_%28Studie%29.pdf
http://kurier.at/nachrichten/gesundheit/2014990.php
http://positiverdialog.at
http://www.tht.org.uk/mediacentre/pressreleases/2010/july/july20.htm