Drogentod durch Überdosis: Wann geht der Politik ein Licht auf?
„Internationaler Tag gegen Überdosierungen“: Deutsche Aidshilfe und Drogenselbsthilfeverband JES illuminieren Gebäude in Berlin (inklusive Pressebild)
„Überdosierungen vermeiden: Wir sind alle gefragt!“ – So steht es blau und orange auf Dunkel auf dem Bürogebäude neben dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, in dem die Deutsche Aidshilfe und der Bundesverband JES („Junkies, Ehemalige, Substituierte“) ihren Sitz haben. Es ist die Botschaft der Fach-Organisationen zum heutigen „International Overdose Awareness Day“.
Weltweit finden mehr als 800 Aktionen statt. Um an Drogentote zu erinnern und Maßnahmen gegen Überdosierung anzumahnen, werden Gebäude in Violett getaucht. So auch gestern Abend der Eingangsbereich des Gebäudekomplexes Wilhelmstraße 138/139.
Zahl der Todesfälle verdoppelt
Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Drogenkonsum hat sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland verdoppelt. Im letzten Jahr starben 1.990 Menschen, in Berlin waren es 230. Europaweit war der Tod von mehr als 6.000 Menschen zu beklagen – drei Viertel davon hatten Heroin konsumiert.
„Es ist tragisch und skandalös, dass immer mehr Menschen sterben – obwohl immer bessere Möglichkeiten zur Verhinderung von Drogentodesfällen zur Verfügung stehen. Überdosierungen sind keine Schicksalsschläge, sondern sie entstehen überwiegend durch mangelnde Hilfsangebote und eine repressive Drogenpolitik“, sagt Winfried Holz, Mitglied im Vorstand der Deutschen Aidshilfe.
„Dieser Tag erinnert daran, dass viele geliebte Menschen noch bei uns sein könnten und dass es heute darum geht, diejenigen zu retten, die noch leben. Lebensbedrohliche Verfolgung oder Unterstützung fürs Überleben und den Erhalt der Gesundheit – Politik und Gesellschaft haben die Wahl“, betont Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug der Deutschen Aidshilfe.
Mittel gegen den Drogentod
Folgende Maßnahmen verhindern unmittelbar Drogentodesfälle:
- Drogenkonsumräume – dort steht im Notfall medizinische Hilfe bereit. Sieben Bundesländer weigern sich nach wie vor, diese Einrichtungen gesetzlich zu ermöglichen. Immerhin: Schleswig-Holstein hat gerade die Grundlage geschaffen, so dass endlich die Mehrheit der Bundesländer die lebensrettenden Einrichtungen erlaubt.
- Notfallmedikament Naloxon: Das Nasenspray ist leicht einsetzbar und hebt Überdosierungen mit Heroin und anderen Opioiden auf. Es muss allen potenziellen Ersthelfer*innen – von Polizist*innen bis zu Konsument*innen – zur Verfügung stehen – Verschreibungsfähigkeit und Pilotprojekte haben den Weg geebnet.
- Drugchecking: Die Untersuchung von Substanzen auf Inhaltsstoffe und Reinheitsgehalt rettet Leben und ermöglicht Beratung – idealerweise vor Ort, wo konsumiert wird. Bisher ist Deutschland über Pilotprojekte noch kaum hinausgekommen.
- Regulierte Abgabe von Substanzen, zum Beispiel verstärkt Diamorphin (pharmazeutisch erzeugtes Heroin) über das Medizinsystem: Kein Schwarzmarkt, keine Verelendung, stattdessen Konsum in geschütztem Rahmen.
Veränderung jetzt konsequent fortsetzen
„Wir brauchen jetzt ein konsequentes Umdenken in der Drogenpolitik: Weg von der völlig erfolglosen Verfolgungspolitik, hin zu Modellen regulierter Abgabe. Die Verbote führen seit 40 Jahren nur dazu, dass die Situation immer schlimmer wird: Mehr Abhängigkeit, mehr Tote, mehr soziale Folgeprobleme. Wir begrüßen die neuen Ansätze der Bundesregierung bei Cannabis und Drugchecking und sehen die historische Chance zu einem Richtungswechsel“, sagt DAH-Referent Schäffer.
Die Strafverfolgung hat ihren Zweck, Konsum und Handel zu reduzieren, verfehlt. Das zeigt auch der Europäische Drogenbericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) in Lissabon: Menschen, die Drogen konsumieren, sind heute einer breiteren Palette psychoaktiver Substanzen ausgesetzt als je zuvor; die Drogen weisen oft eine hohe (und unberechenbare) Potenz und Reinheit auf. Drogen sind leichter verfügbar als früher und werden zunehmend in Europa produziert.
Die Wissenschaft weist den Weg
Statt hilflos den Entwicklungen hinterherzulaufen, gilt es, Schwarzmärkte durch regulierte Abgabe auszutrocknen, das Hilfesystem auszubauen, Kinder und Jugendliche mit maßgeschneiderter Prävention zu informieren und zu schützen. Menschen die aus anderen Ländern zu uns kommen, müssen Zugang zum medizinischen Hilfesystem erhalten.
„Handlungsleitend müssen wissenschaftliche Erkenntnisse sein, die in diesem Bereich reichlich vorliegen. Wer Leben retten will, muss nur umsetzen, was Forschung, Fachverbände und Modellprojekte seit Jahren nahelegen. Es ist an der Zeit, dass der Politik ein Licht aufgeht“, sagt DAH-Vorstand Winfried Holz.
Pressemitteilung zum Gedenktag am 21.7.
Drogenkonsumräume in Deutschland
Modellprojekt NALTRAIN zur Vergabe des Notfallmedikaments Naloxon
Fortschritte beim Drugchecking