Was ist Harm Reduction?
Was ist Harm Reduction?
Harm Reduction ist derzeit der vielversprechendste Ansatz in der Arbeit mit DrogengebraucherInnen. Die Internationale Aids-Konferenz in Wien (18.-23. Juli) widmet ihm einen eigenen Thementag. DAH-Referent Dirk Schäffer erklärt, warum die Einführung von Harm Reduktion Angeboten unbedingt notwendig war und das bis dahin sehr eindimensionale Hilfesystem verbesserte
Herr Schäffer, in der Drogenhilfe hört man oft den Begriff Harm Reduction? Was ist das?
Auf Deutsch bedeutet Harm Reduction „Schadensminderung“. Ein klassisches Beispiel für ein solches Angebot ist der Spritzentausch. Bis 1992 war die Abgabe von Spritzen und Nadeln für den Drogenkonsum ein Straftatbestand. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat mit ihrer Arbeit maßgeblich dazu beigetragen, dass das heute legal ist. Heute erhalten Drogenkonsumenten in Aids- und Drogenhilfen, in Apotheken sowie an Automaten steriles Zubehör. Ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von HIV!
Was steckt hinter diesem Ansatz?
Entscheidend dabei ist: Es geht primär nicht um Abstinenz, sondern darum, unmittelbare gesundheitliche Schäden für Drogenkonsumenten zu reduzieren und ihr Überleben zu sichern.
Gleichzeitig erleichtert es den Konsum. Verleitet das Konzept nicht dazu, Drogen mal auszuprobieren?
Den Vorwurf hören wir häufig, aber er trifft nicht zu. Solche Angebote richten sich nicht an Personen die keine Drogenerfahrung haben und werden von solchen auch nicht wahrgenommen. Zielgruppe von Harm Reduction sind Menschen mit Drogenerfahrung, die zum Konsum entschlossen sind,– aus welchen Gründen auch immer.
Wie ist man auf die Idee „Harm Reduction“ gekommen?
Man musste einfach feststellen, dass die damaligen Angebote der Drogenhilfe wie Entzug oder Abstinenztherapien nur eine geringe Reichweite hatten. Und die Erfolge waren sehr überschaubar. Studien zeigen, dass bei solchen Programmen nur etwa 10 bis 15 Prozent der Teilnehmenden dauerhaft abstinent bleiben. Der weitaus größere Teil konsumiert danach wieder.
Eine schlechte Quote. Was ist noch neu an diesem Konzept?
Harm Reduction verpflichtet zu einem respektvollen Umgang mit Drogenkonsumenten und verzichtet auf alle Appelle zur sofortigen Verhaltsänderung. Darüber hinaus werden an die Inanspruchnahme solcher Angebote keine Vorbedingungen geknüpft. Harm Reduction Angebote sind also „niedrigschwellig“ Wir akzeptieren es, wenn jemand psychoaktive Stoffe nimmt, und nehmen ihn so an, wie er ist. Anders kann die Arbeit mit Drogen gebrauchenden Menschen gar nicht funktionieren.
Warum ist das so wichtig?
Wie bei allen anderen Gesundheitsproblemen gilt: Wer helfen will, darf nicht nur auf die Defizite der Menschen fokussieren, sondern sollte auch ihre Ressourcen und Fähigkeiten im Blick haben. Auch in einer schwierigen Lage hat jeder Mensch noch viele Kompetenzen, die ihm weiterhelfen können. Diese wollen wir stärken und so den gesundheitlichen Schaden gering halten.
Sie stellen diesen Ansatz auch auf der Internationalen Aidskonferenz in Wien vor. Ist Harm Reduction dort noch umstritten?
Nein, der Siegeszug von Harm Reduction ist nicht mehr aufzuhalten. Die meisten Staaten haben das Konzept inzwischen in ihre Drogenpolitik aufgenommen. Auch konservative Regierungen erkennen inzwischen, dass sie nur so die Ausbreitung von HIV stoppen können.
Was erwarten Sie von der Konferenz in Wien?
Unser Ziel ist es, dem Harm-Reduction-Ansatz auch in Osteuropa zum Durchbruch zu verhelfen. In Russland zum Beispiel wird Spritzentausch bisher nur durch internationale Projekte durchgeführt, die Regierung hat die Strategie bis heute nicht übernommen. Selbst die weltweit erfolgreiche Substitutionsbehandlung ist dort illegal. Dabei wäre auch das eine sehr wirkungsvolle Maßnahme der Schadensminderung.
Welche Botschaft wollen Sie dort verbreiten?
Auch Menschen, die Drogen gebrauchen, können Verantwortung übernehmen! Das deutsche Netzwerk JES ist ein gutes Beispiel, das es so nirgendwo sonst gibt: Hier unterstützen sich Drogenkonsumierende, Substituierte und Ehemalige gegenseitig. Damit Selbsthilfe funktioniert, braucht sie Akzeptanz, Einbeziehung und Wertschätzung. Eine Prävention die von oben und außen aufgesetzt wird, kann nicht wirken. Auch Menschen, die Drogen gebrauchen, wollen sich nicht fernsteuern lassen, sondern selbst entscheiden – auch darüber, was und wann sie konsumieren.