Nadja Benaissa bedauert „falschen Umgang“ mit ihrer HIV-Infektion

Aus dem Amtsgericht Darmstadt von Jörg Litwinschuh

Zum heutigen Beginn des Prozesses gegen Nadja Benaissa hat ihr Anwalt Wallasch eine Erklärung der Künstlerin verlesen. Sie bedauert darin „den falschen Umgang mit ihrer HIV-Infektion“. Frau Benaissa gestand, sie habe ungeschützten Sex mit Männern gehabt, obwohl sie von ihrer HIV-Infektion wusste. Die Infektion habe sie wegen des gesellschaftlichen Stigmas, des Drucks aus dem Umfeld ihrer Band und wegen ihrer Karriere verdrängt. In den vergangenen Jahren habe sie außerdem viele falsche Berater gehabt. Ausdrücklich dankte sie der Deutschen AIDS-Hilfe für ihre Unterstützung.

Die Sängerin gab an, sie sei seit fünf Jahren in antiretroviraler Therapie, die ihre Viruslast unter die Nachweisgrenze gesenkt habe. Sie gehe deshalb davon aus, gemäß den Schweizer EKAF-Richtlinien (siehe hier dazu das DAH-Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention“) nicht mehr infektiös zu sein. Außerdem sei sie regelmäßig von ihrem Arzt untersucht worden.

Infektion wissentlich in Kauf genommen?

In der Zeugenvernehmung warf der 34-jährige Nebenkläger der Angeklagten vor, sie habe seine HIV-Infektion durch mehrmaligen ungeschützten Verkehr wissentlich in Kauf genommen. Über Infektionsschutz und die HIV-Infektion sei nie gesprochen worden – auch nicht, nachdem Frau Benaissa im Februar 2007 von ihrer Tante (mit der der Nebenkläger befreundet ist) erfahren habe, dass sie ihn wahrscheinlich infiziert habe.

Nach dem Geschlechtsverkehr mit Frau Benaissa habe er aus Furcht vor einer Geschlechtskrankheit bei seinem Arzt einen Abstrich machen lassen. Dabei sei er ohne seine Kenntnis auf HIV getestet worden – mit negativem Ergebnis. Möglicherweise habe er jedoch seine Infektion unwissentlich an nachfolgende Sexualpartnerinnen weitergegeben, denen er inzwischen zu einem HIV-Test geraten habe.

Er gab zu, dass er Frau Benaissa unter Androhung einer Klage gedrängt hatte, sich innerhalb eines Jahres zu outen und eine hohe Summe an eine Aids-Einrichtung zu spenden. Darauf habe die Angeklagte nicht reagiert. Er leide sehr unter seiner HIV-Infektion, habe über ein Jahr gebraucht, um damit einigermaßen zurechtzukommen, und müsse als Künstlerbetreuer finanzielle Einbußen von über 50 Prozent hinnehmen.

Nichts in seinem Leben sei mehr wie zuvor. „Du hast so viel Leid in die Welt getragen!“, rief er Frau Benaissa zu. „Ich habe keine finanziellen Interessen“, füge er hinzu. Sein Anwalt behält sich zivilrechtliche Schadenersatzklagen vor.

 

Schwere Vorwürfe

Im Lauf der sehr emotional geführten Auseinandersetzung ergab sich folgendes Bild: Nach ihren Angaben weiß Nadja Benaissa seit 1999 von ihrer Infektion, die im dritten Schwangerschaftsmonat durch einen HIV-Test festgestellt wurde. Eine Infektion ihrer Tochter sei durch einen Kaiserschnitt und eine vorbeugende antiretrovirale Behandlung verhindert worden.

Frau Benaissa erklärte, sie habe einige Berater und Freunde über ihre Infektion informiert. Man habe ihr von einem Outing abgeraten, da man für sie und ihre Band „No Angels“ einen großen Image-Schaden befürchtete. Es habe zahlreiche Erpressungsversuche gegeben, als über soziale Netzwerke das Gerücht verbreitet wurde, sie würde wissentlich Männer infizieren.

Im Prozess beschuldigte sie ihre Tante S. Benaissa, ihr sogar mit Mord gedroht zu haben. Schwere Vorwürfe erhob die offen und sachlich wirkende Sängerin gegen „eine große deutsche Tageszeitung“: Diese habe sie zu erpressen versucht. Über ihre PR-Agentur habe man ihr schon 2001 ausrichten lassen, man werde sie outen, wenn sie nicht nachweise, dass ihre Tochter HIV-negativ sei. Bis zu ihrer Verhaftung 2009 habe sie unter enormem Druck leben müssen.

 

Sex mit und ohne Kondom

„Ich hatte tierische Angst, über HIV zu reden“

Nadja Benaissa gab dem Richter zu bedenken, dass sie durchaus regelmäßig Kondome benutzt habe. Es habe aber Situationen gegeben – auch bedingt durch Drogen oder zu viel Alkohol –, bei denen es einvernehmlich zum Sex ohne Kondom gekommen sei. Keiner ihrer Sexualpartner habe von sich aus den Kondomgebrauch angesprochen. „Ich hatte tierische Angst, über HIV zu reden“, gestand Benaissa vor Gericht: „Man hat etwas auf der Zunge, kann es aber nicht sagen.“ Es habe „Terror von allen Seiten“ gegeben, und sie habe schwere Schuldgefühle, so Benaissa.

Ob die Künstlerin wirklich für die HIV-Infektion des Nebenklägers verantwortlich ist, wollen die Gutachter im Laufe des auf fünf Tage angesetzten Prozesses klären.

(joli)