HIV-Test für den Hausgebrauch?

Die Position der Deutschen AIDS-Hilfe zur aktuellen Heimtest-Debatte

Aktualisierung (2017): Die Deutsche AIDS-Hilfe spricht sich mittlerweile für den Heimtest aus. Mehr Infos hier.

Meldung vom 11.04.2013:

Bisher war die Lage eindeutig: HIV-Tests werden – wie alle diagnostischen Maßnahmen – fast überall auf der Welt ausschließlich von medizinischem Fachpersonal durchgeführt. In Deutschland dürfen Schnelltest-Sets gemäß Medizinproduktegesetz nur an Ärzte oder Einrichtungen mit entsprechendem Personal abgegeben werden. Tests zur Selbstanwendung sind allerdings übers Internet erhältlich – sie werden von Firmen aus dem Ausland verschickt.

In einigen Ländern besteht nun neuerdings die Möglichkeit, sich ganz offiziell selbst auf HIV zu testen. In den USA ist seit Juli 2012 der Schnelltest Oraquick auch für den Hausgebrauch zugelassen, der über einen Abstrich von der Mundschleimhaut funktioniert. In England können Testwillige im Rahmen eines Modellversuchs Blutstropfen auf ein Löschpapier träufeln und an ein Labor schicken, das Ergebnis erfährt man telefonisch oder per SMS, im Falle eines positiven Ergebnisses erhält man zusätzlich Informations- und Hilfsangebote. In Frankreich hat die Gesundheitsministerin gerade auf Anraten des nationalen Aids-Rates die Zulassung für Heimtests eingeleitet; welches Testverfahren zum Einsatz kommt, ist noch offen.

Die Verantwortlichen folgen der Hypothese: Heimtests können dazu beitragen, dass sich mehr Menschen rechtzeitig auf HIV testen und gegebenenfalls behandeln lassen.  Dies könne auch helfen, weitere Infektionen zu verhindern. 

Keine Belege für den Nutzen

Ende März erwog eine internationale Forschergruppe in einer Überblicksstudie den möglichen Nutzen von Heimtests. Ergebnis: Es liegen noch zu wenige Erkenntnisse über Qualität und Folgen des Heimtests vor. Medien berichteten daraufhin allerdings von HIV-Selbsttests als einer „guten Alternative“ (Spiegel online) für diejenigen Menschen, die sich aus Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung nicht zum HIV-Test trauen.

Für diese Annahme gibt es bisher jedoch keine Belege. Auch in der genannten Studie finden sich keine Fakten, die diese Theorie untermauern würden. Zugleich gibt es Hinweise, dass der Heimtest auch einen gegenteiligen Effekt haben könnte. Nach einer Modellrechnung, die kürzlich auf der Fachkonferenz CROI in Seattle vorgestellt wurde, könnte er zu einem Anstieg der HIV-Infektionen beitragen. (Mögliche Gründe dafür werden im folgenden Abschnitt erläutert.)

Risiken des Heimtests

Sicher ist: Sowohl für den einzelnen Menschen als auch mit Blick auf das Infektionsgeschehen insgesamt birgt der Heimtest Risiken:

1. Das Risiko falsch positiver oder falsch negativer Ergebnisse wird durch laienhafte Anwendung erhöht. Der Oraquick-Test mit Mundflüssigkeit zum Beispiel „übersieht“ bei Selbstanwendung 8 von 100 HIV-Infektionen. Bei professioneller Anwendung sind es noch zwei – immer noch kein guter Wert.

2. Heimtests bzw. Schnelltests können eine HIV-Infektion erst etwas später nachweisen als ein Bluttest im Labor. Das Risiko, eine frisch erworbene HIV-Infektion zu übersehen, steigt.

3. Fällt der HIV-Test positiv aus, ist der Mensch mit dem Ergebnis allein – ohne Beratung und Informationen, was sein Testergebnis bedeutet. Es gibt auch keine Anbindung ans medizinische System.

4. Die Möglichkeit, im Rahmen der Testberatung über Schutzmöglichkeiten aufzuklären, entfällt.

5. Der Heimtest eröffnet die Möglichkeit, dass Menschen die Ergebnisse falsch interpretieren. Insbesondere wissen manche Menschen nicht, dass ein  positiver HIV-Test durch einen weiteren Test bestätigt werden muss und dass ein negativer HIV-Test erst drei Monate nach dem letzten Infektionsrisiko eine Infektion ausschließen kann.

6. Ein negatives Ergebnis beim so genannten Bettkanten-Test vor dem Sex könnte als Sicherheit missverstanden werden. Das könnte in manchen Fällen zum Verzicht auf Kondome führen („Es ist ja alles in Ordnung“). Der Test kann aber eine frische HIV-Infektion – und damit ein besonders hohes Übertragungsrisiko – nicht nachweisen. Wer sich in einer medizinischen Einrichtung oder beim Testprojekt testen lässt, wird darüber informiert, beim Heimtest gibt es keine Beratung. Heimtests könnten also dazu beitragen, dass Menschen ungewollt mehr Risiken eingehen.

Prinzipielle Einwände

Zudem sprechen prinzipielle Gründe gegen die Einführung des Heimtests: Eine diagnostische Maßnahme würde teilweise der Verantwortung des Gesundheitssystems enthoben und dem Einzelnen zugeschrieben. Auch die Kosten würden damit privatisiert.

Bleibt die Frage: Kann der Heimtest Menschen zum Test motivieren oder befähigen, die sich sonst nicht testen lassen würden? Tatsächlich lassen sich viele Menschen nicht auf HIV testen, weil sie Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung haben. Es gibt aber bisher keine Anzeichen dafür, dass der Heimtest hier hilfreich sein könnte. Denn erstens bleibt die Angst vor dem positiven Ergebnis und der damit verbundenen Ausgrenzung. Zweitens ist fraglich, ob positiv Getestete dann auch den Schritt ins medizinische System gehen würden, um sich behandeln zu lassen.

Diskriminierung und Stigmatisierung sind Probleme, die an der Wurzel gepackt werden müssen. Damit mehr Menschen von einem rechtzeitigen HIV-Test profitieren können, brauchen wir vor allem mehr niedrigschwellige und passgenau gestaltete Testangebote, die den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppen Rechnung tragen. Die bestehenden Angebote zeigen den Bedarf: Sie sind oft überlaufen.

Der Realität Rechnung tragen

Die Deutsche AIDS-Hilfe spricht sich aus den genannten Gründen nicht dafür aus, Heimtests auch in Deutschland einzuführen. Zugleich tragen wir aber der Tatsache Rechnung, dass manche Menschen bereits selbst HIV-Tests durchführen; sie greifen dafür auf Angebote aus dem Internet zurück. Wir respektieren diese Entscheidung und werden Menschen, die sich für solch einen Test entscheiden, in Zukunft verstärkt durch Informationen zur richtigen Durchführung und zur Interpretation der Ergebnisse unterstützen. Zugleich werden wir weiterhin auf die Risiken von Heimtests aus dem Internet hinweisen.

Entwicklung beobachten

Die Versuche in den USA, England und Frankreich  werden wir weiterhin aufmerksam beobachten. Eventuelle Chancen, Risiken und Nebenwirkungen des Heimtests werden bald deutlicher zu Tage treten. Bis dahin spricht nichts dafür, in Deutschland die bestehende Rechtslage zu verändern. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen ist ein hohes Gut. Die mit dem Heimtest verbundenen Risiken sind aber gravierend, ein Nutzen bisher nicht erwiesen. Darum besteht zurzeit kein Grund, mit dem HIV-Test eine Ausnahme von der Regel zu schaffen, dass medizinische Diagnosen durch Ärztinnen und Ärzte gestellt und mitgeteilt werden.

 

Quellen:

Pant Pai N, Sharma J, Shivkumar S, Pillay S, Vadnais C, Joseph L, Dheda K, Peeling RW: Supervised and Unsupervised Self-Testing for HIV in High- and Low-Risk Populations: A Systematic Review. PLOS Medicine, April 2013, Vol 10, Issue 4, e1001414

Katz DA, Cassels SL, Stekler JD: Replacing Clinic Testing with Home-Use Tests May Increase HIV Transmission among Seattle MSM: Evicence from a Mathematical Model. CROI (Retroviruskonferenz), Atlanta, März 2013, Paper 1064