Hilflos gefangen in den Netzen der Huren?

Die griechische Polizei hat im Internet Fotos, Namen und Geburtsdaten von 11 Sexarbeiterinnen veröffentlicht, die bei Zwangstests von ihrer HIV-Infektion erfahren haben. Ein Kommentar von Bernd Aretz

Elf Portraitfotos und elf Ganzaufnahmen vor einer kahlen Wand auf einem gekachelten Fußboden zeigen offensichtlich verängstigte, eingeschüchterte und gedemütigte Frauen. Nach Focus online sollen sie Opfer von Menschenhändlern, Zuhältern aus Osteuropa oder drogenabhängige Griechinnen sein. Es sind Sexarbeiterinnen, die von der Straße weg verhaftet, auf HIV-Antikörper zwangsgetestet und auf Weisung der Athener Staatsanwaltschaft unter voller Namensnennung mit ihrem positiven Testergebnis im Internet öffentlich an den Pranger gestellt wurden.

Ihre Freier rief man auf, sich testen zu lassen. Von den Hunderten, die dies taten, wurden drei HIV-positiv getestet. Die Frauen zeigte man laut Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung an. Die Veröffentlichung ihrer Bilder und Daten im Netz wird lebenslang als Makel an ihnen haften, legt dies doch nicht nur die Infektion offen, sondern einen scheinbar ehrlosen Lebenswandel und die beliebige Verfügbarkeit als Opfer des Machismo.

Wer meinte, mit dem Fall Nadja B. vor drei Jahren sei das Höchstmaß der Ignoranz von Staatsanwälten gegenüber den Rechten der Beschuldigten, gegenüber Übertragungswahrscheinlichkeiten und der Verantwortung für den Selbstschutz erreicht, sieht sich bitter getäuscht. 

Zum Höhepunkt der Aidsdebatte in der Bundesrepublik in den achtziger Jahren arbeitete Bayern mit Berufsverboten für HIV-positive Sexarbeiterinnen, Berlin lehnte dies ab. Konsequenz war in Berlin im Gegensatz zu Bayern ein dramatischer Rückgang sexueller Infektionen im Sexgewerbe, weil nicht der falsche Eindruck erweckt wurde, der Staat werde schon für den HIV-freien Strich sorgen.

Was ist eigentlich mit den positiv getesteten Männern? Sie haben auf ungeschütztem Sex bestanden, obwohl sie selbst gar nicht wissen konnten, ob sie virenfrei oder möglicherweise sogar in der höchst infektiösen Anfangsphase der Infektion waren. Wieso sind sie Opfer und die Frauen Täterinnen? Warum stehen diese Männer nicht im Netz? Eine Frage, die sich auch der griechische Gesundheitsminister stellte – um die Dummheit der „bemitleidenswerten“ Männer herauszustreichen, bei denen er allerdings die überwiegende Verantwortung sieht, da sie über die Bezahlung den kondomfreien Sex veranlasst hätten.

Der Londoner Rechtsprofessor Matthew Weait weist in seinem Blog auf die lange Tradition hin, das Böse und auch sexuell übertragbare Infektionen bei den Frauen zu verorten, gegen sie vorzugehen und den „unschuldigen“ Männern einen „reinen Strich“ bieten zu wollen. Er sieht das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in der Nähe des Vorgehens der Nazis bei der Entrechtung und Vernichtung der als jüdisch definierten Bevölkerungsteile. Andere Kommentatoren sehen Griechenland durch die Krise ins Mittelalter geschleudert, eine zunehmende Verrohung der Gesellschaft.

Klar ist nur eines: Die Aktion der Athener Staatsanwaltschaft ist kein Beitrag, die Verbreitung von HIV einzudämmen. Sie macht aus den Frauen Sündenböcke, verletzt ihre Würde und zeigt die Männer als willenlose Trottel, hilflos gefangen in den Netzen der Huren.   

Bernd Aretz ist Jurist, HIV/Aids-Selbsthilfe-Aktivist und Mitglied im Nationalen AIDS-Beirat

 

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