Genschere - vielversprechende Ergebnisse aus der Grundlagenforschung

Das wissenschaftliche Highlight des Kongresstages kommt aus Hamburg. Helga Hofman-Sieber vom Heinrich-Pette-Institut für experimentelle Virologie

Mit einer Genschere wird das Erbgut von HIV wieder aus dem menschlichen Erbgut herausgeschnitten. 2007 wurde dieses Verfahren in Zellen im Labor erprobt. Hofmann-Sieber aus der Arbeitsgruppe um Prof. Hauber konnten die Genschere nun bei Mäusen erfolgreich testen.

HIV unterscheidet sich von den anderen Viren dadurch, dass es sich nicht damit begnügt, in die Zelle einzudringen und dort neue Viren zu produzieren. HIV schleußt sein Erbgut in das Allerheiligste der menschlichen Zelle ein, in den Zellkern. Dort wird die Virus-Nukleinsäure in die menschliche Nukleinsäure eingebaut. Das Virus-Erbgut entert sozusagen das menschliche Erbgut.

Mit der erfolgreichen antiretroviralen Therapie gelingt es nun zwar, zu verhindern, dass aus diesem Erbgut heraus neue Viren gebildet werden und den Körper überschwemmen. Es gelingt aber nicht, den Körper virenfrei zu machen, also von der Infektion zu heilen. Denn es gibt im menschlichen Immunsystem ruhende Zellen, die sehr lange leben. Wenn sie mit HIV infiziert sind, leben sie mit HIV sehr lange.

Wenn man eine Heilung erreichen will, muss man entweder diese Zellen aktivieren (damit sie in wenigen Tagen absterben) oder man muss die einzelnen Zellen von der Virus-Erbsubstanz befreien.

Letzteren Ansatz verfolgen deutsche Arbeitsgruppen um Dr. Buchholz aus Dresden und Prof. Hauber aus Hamburg. Ein Enzym namens tre-Recombinase erkennt die Enden der langen Viruserbsubstanz und kann sie aus der menschlichen Erbsubstanz herausschneiden. Danach wird das Virus-Erbstück von der Zelle verdaut. Das Problem ist nur: Wie bekommt man die Tre-Rekombinase in die menschliche Zelle?

Man geht den Weg einer somatischen Gentherapie: dem Patienten wird Blut entnommen und daraus werden blutbildende Stammzellen gewonnen. Diese Zellen werden im Labor mit dem Bauplan der Tre-Rekombinase "infiziert", können also fortan selbständig die Genschere produzieren. Dann werden diese Zellen dem Patienten zurückgegeben.

Es verbietet sich natürlich, ein solch experimentelles Verfahren an Patienten zu erproben. Schließlich kennt man nach Laborversuchen noch keine Nebenwirkungen. Und wer lässt sich schon gerne am eigenen Erbgut herumschnippeln, wenn die Risiken nicht bekannt sind.

Hofmann-Sieber hat nun auf der Welt-AIDS-Konferenz in Wien eine Methode vorgestellt, die den Einsatz am Menschen wahrscheinlicher werden lässt. Erstmals wurde die HIV-Genschere an Lebewesen getestet.

Das Problem dabei war, dass es für HIV kein geeignetes Labortier gibt. Lediglich Affen lassen sich mit Immunschwächeviren infizieren, die dem HIV sehr ähnlich sind - schließlich stammt das menschliche Immunschwächevirus von Schimpansen und Mangaben-Affen. Affen aber sind in der Forschung teuer und schwer erhältlich.

Die Hamburger Forschergruppe hat daher auf ein Tier zurückgegriffen, das auf der letzten Welt-AIDS-Konferenz in Mexiko vorgestellt wurde. Auf die humanisierte Maus. Mäuse haben zwar mit dem Menschen außer die Vorliebe für Wurst und Käse wenig gemein. Man hat daher das Immunsystem der Mäuse durch eine Strahlenbehandlung abgetötet und ihnen -wie bei einer Stammzelltransplantation- menschliche Blut- und Immunzellen infundiert. Diese Zellen "wachsen" im Knochenmark und blutbildenden System der Mäuse an, sie leben fortan mit einem menschlichen Immunsystem. Dieses menschliche Immunsystem ist das Ziel von HIV.

Die Forscher haben nun zwei Gruppen von Mäusen gebildet: eine Kontrollgruppe mit einem menschlichen Immunsystem und eine Gruppe Mäuse, bei denen die Zellen des menschlichen Immunsystems vor der Transplantation die Information zum Bau der Tre-Rekombinasen erhalten haben.

Jetzt werden beide Mäusegruppen mit HIV infiziert. Ergebnis: Beide Mäusegruppen lassen sich infizieren und in beiden Gruppen ist Virus im Blut nachweisbar. Die mit Tre-Rekombinasen behandelte Mäusegruppe hat allerdings nur ein hundertstel der HIV-Virenmenge der Kontrollgruppe im Blut. Die Genschere konnte also die Infektion nicht verhindern oder heilen, aber wenn man die Mäuse behandeln würde, bräuchte die Gentherapie-Gruppe wahrscheinlich erst später Medikamente - oder weniger Medikamente.

Einen solches Ergebnis hatte Dr. Buchholz bereits 2007 vorausgesagt.

Wie geht es nun weiter? Die Arbeitsgruppe will das Verfahren nun mit verschiedenen Varianten von HIV erproben. Bisher hat man mit einem HIV-Virus gearbeitet, das gut von der Rekombinase erkannt wird. Man will nun mit einer anderen HIV-Variante weiter arbeiten. Wenn die Rekombinase diesen HIV-Typus erkennt, wird sie voraussichtlich 90% aller zirkulierenden Varianten erkennen können.

Die Arbeitsgruppen sind mit dem Schritt, die Rekombinase an Mäusen zu testen, einen großen Schritt weiter. Zur Entwicklung eines Medikaments, das für den Einsatz am Menschen zugelassen ist, kann aber noch ein Jahrzehnt vergehen.

Für Entwicklungsländer wäre diese Form der Gentherapie wahrscheinlich nicht durchführbar. Ob der Nutzen eines solchen Verfahrens die Risiken übersteigt, ist auch für Industrieländer noch nicht absehbar.

(aus Wien Armin Schafberger, Referent für Medizin und Gesundheitspolitik, DAH)