Informationen zu HIV für die medizinische Praxis
Vorwort der Bundesärztekammer und der deutschen Aidshilfe
Sehr geehrte Leser*innen, liebe Kolleg*innen,
HIV ist dank des medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritts mittlerweile eine gut behandelbare chronische Infektion. Die heutzutage eingesetzten HIV-Medikamente unterdrücken die HIV-Vermehrung im Körper und verhindern die Ausbildung einer Aids-Erkrankung. Menschen mit HIV können bei frühzeitiger Diagnose und frühem Behandlungsbeginn mit einer normalen Lebenserwartung1 und einem Leben ohne größere medizinische Einschränkungen rechnen. Selbst bei fortgeschrittener HIV-Infektion oder bei Aids-Symptomen bestehen gute Chancen, dass sich das Immunsystem wieder erholt, wenn eine Behandlung eingeleitet wird.
Allerdings lebten in Deutschland Ende 2018 geschätzt über 10.000 Menschen mit HIV, ohne es zu wissen. Seit Jahren wird rund ein Drittel der Neudiagnosen erst bei fortgeschrittenem Immundefekt gestellt, etwa 15 Prozent der Diagnosen erfolgen sogar erst bei aidsdefinierenden Symptomen. Einer der Gründe, sich nicht testen zu lassen, ist weiterhin die Angst vor Diskriminierung.
Trotz der erheblichen therapeutischen Fortschritte und einer guten medizinischen Versorgungslage in Deutschland berichten Menschen mit HIV, dass sie aufgrund ihrer Infektion auch im Gesundheitswesen Diskriminierung erfahren.2 Dabei geht es nicht nur um Erfahrungen wie zum Beispiel eine verweigerte Behandlung. Auch unnötige Hygienemaßnahmen oder die – zum Teil auch unbedachte – Preisgabe sensibler Informationen zum Beispiel auf Überweisungsscheinen werden als diskriminierend empfunden.
Solche erlebten oder befürchteten negativen Reaktionen können dazu führen, dass Menschen sich nicht auf HIV testen lassen und dass Menschen mit HIV nicht offen und selbstbewusst mit ihrer Infektion umgehen.
Die Gründe für Diskriminierung sind unterschiedlich. Zum einen können Vorurteile die Ursache sein, da viele HIV-Patient*innen Personengruppen angehören, die aufgrund bestimmter Merkmale in unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden. Zum anderen dürften Furcht vor Ansteckung oder Unsicherheiten zu ungewollter Diskriminierung führen.
Genau hier setzt diese Broschüre an. Denn die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung von HIV ist nicht nur die lebenslange Einnahme der Medikamente und die Begleitung der Patient*innen durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen, sondern nachweislich auch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen medizinischem Team und Patient*innen.3 Dafür ist es hilfreich, dass nicht nur die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, sondern alle an der Versorgung Beteiligten über die wesentlichen Punkte rund um HIV/Aids informiert sind und sich im Umgang mit den Patient*innen sicher fühlen.
Damit Sie und Ihr Praxisteam Patient*innen mit HIV bestmöglich unterstützen können, finden Sie in dieser Broschüre wichtige Informationen rund um das Thema HIV und Aids. Außerdem bietet sie Tipps aus der Beratungspraxis, die es Ihnen erleichtern sollen, Menschen mit HIV sowie Patient*innen mit vielfältigen sexuellen, sprachlichen und kulturellen Hintergründen bedürfnisgerecht und diskriminierungsfrei zu begegnen.
Die Länder der WHO-Euro-Region sowie die Mitglieder der Europäischen Union haben sich mit der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verpflichtet, HIV, Hepatitis und weitere sexuell übertragbare Infektionen bis 2030 einzudämmen.
Sie können entscheidend dazu beitragen, bis zum Jahr 2030 die 95-95-95-0-Ziele der Vereinten Nationen zu erreichen.4 Dies bedeutet:
- 95 % aller HIV-Infizierten kennen ihre Diagnose
- 95 % davon werden behandelt
- 95 % davon haben eine Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze
- 0 % werden aufgrund ihrer Infektion diskriminiert.
Gerade ein vertrauensvoller und diskriminierungsfreier Umgang trägt dazu bei, dass Menschen sich in die medizinische Versorgung begeben und sich dort testen und behandeln lassen.
Gemeinsam können wir HIV eindämmen und die Folgen einer HIV-Infektion minimieren – herzlichen Dank für Ihr Engagement!
2 Die 2012 unter 1.148 Menschen mit HIV durchgeführte Umfrage „positive stimmen“ zeigte zum Beispiel, dass jeder fünften befragten Person im Jahr vor der Umfrage eine medizinische Behandlung verweigert wurde und dass zehn Prozent nicht in eine Arztpraxis gingen, als es nötig gewesen wäre – bei denen, denen eine Behandlung verweigert worden war, waren es sogar 18 Prozent (siehe „positive stimmen verschaffen sich gehör“, Deutsche Aidshilfe 2012, online unter Positive Stimmen abrufbar, und dazu den ausführlichen Ergebnisbericht unter Positive Stimmen).
4 UNAIDS: Understanding Fast Track. Accelerating Action to End the AIDS Epidemic by 2030. UNAIDS: Geneva 2015.