Die Infomappe richtet sich an Berater*innen in Aidshilfen.

Ratsuchende, die Fragen rund um HIV, Geschlechtskrankheiten und sexuellem Wohlbefinden haben, können sich an unsere Onlineberatung unter www.aidshilfe-beratung.de wenden.  

Hypochondrie
(Überzeugung, krank zu sein)

Phobische Störungen
(z. B. Angst vor einer Ansteckung trotz Safer Sex)

Zwangshandlungen
(Beruhigung der Angst durch z. B. Rituale oder Wiederholungen)

In der aktuell gültigen International Classification of Diseases (ICD-10) werden Zustände, bei denen Menschen unter Angst vor körperlichen Erkrankungen leiden, unter folgenden Kategorien psychischer Störungen gefasst:

F45 Somatoforme Störungen

Das Charakteristikum ist die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzt*innen, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome, das Leiden und die innerliche Beteiligung des*der Patient*in.

F45.2 Hypochondrische Störung

Vorherrschendes Kennzeichen ist eine beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten zu leiden. Die Patient*innen manifestieren anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit ihren körperlichen Phänomenen. Normale oder allgemeine Körperwahrnehmungen und Symptome werden von den betreffenden Patient*innen oft als abnorm und belastend interpretiert und die Aufmerksamkeit meist auf nur ein oder zwei Organe oder Organsysteme des Körpers fokussiert.

Depression und Angst finden sich häufig und können dann zusätzliche Diagnosen rechtfertigen.

Bei der hypochondrischen Störung meinen die betroffenen Personen, bereits erkrankt zu sein, also z. B. Aids oder eine HIV-Infektion erworben zu haben. Eine besondere Form der hypochondrischen Störung ist die HIV-Phobie, bei der die Angst vor der Ansteckung im Vordergrund steht. Einige Fachleute, aber nicht alle, würden die HIV-Phobie eher im Bereich der Angsterkrankungen sehen.

F40.– Phobische Störungen

Eine Gruppe von Störungen, bei der Angst ausschließlich oder überwiegend durch eindeutig definierte, eigentlich ungefährliche Situationen hervorgerufen wird. In der Folge werden diese Situationen typischerweise vermieden oder mit Furcht ertragen. Die Befürchtungen der Patient*innen können sich auf Einzelsymptome wie Herzklopfen oder Schwächegefühl beziehen, treten aber häufig gemeinsam mit sekundären Ängsten auf – etwa vor dem Sterben, Kontrollverlust oder dem Gefühl, wahnsinnig zu werden. Allein die Vorstellung, dass die phobische Situation eintreten könnte, erzeugt meist schon Erwartungsangst. Phobische Angst tritt häufig gleichzeitig mit Depression auf. Ob zwei Diagnosen, phobische Störung und depressive Episode, erforderlich für diese Diagnose sind, richtet sich nach dem zeitlichen Verlauf beider Zustandsbilder und nach therapeutischen Erwägungen zum Zeitpunkt der Konsultation.

Mitunter finden sich bei Klient*innen mit überstarken Ängsten auch Zwangshandlungen, für die die ICD-10 auch eine Klassifikation hat.

F42.1 Vorwiegend Zwangshandlungen [Zwangsrituale]

Die meisten Zwangshandlungen beziehen sich auf Hygiene (besonders Händewaschen), wiederholte Kontrollen, die garantieren, dass sich eine möglicherweise gefährliche Situation nicht entwickeln kann, oder übertriebene Ordnung und Sauberkeit. Diesem Verhalten liegt die Furcht vor einer Gefahr zugrunde, die die Patient*innen bedroht oder von ihnen ausgeht; das Ritual ist ein wirkungsloser oder symbolischer Versuch, diese Gefahr abzuwenden.

Eine Abgrenzung der dargestellten psychischen Störungen ist nicht immer leicht und bedarf auf jeden Fall einer fachärztlichen oder psychotherapeutischen Diagnostik. Eine Ad-Hoc-Diagnostik in der HIV/ STI-Beratung („Phobiker“, „Hypochonderin“) ist auf jeden Fall zu unterlassen und kann von Betroffenen schnell als stigmatisierend und abwertend erlebt werden.

Für das beraterische Vorgehen ist eine genaue Unterscheidung zwischen einzelnen psychischen Störungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht so relevant. Wichtig für Berater*innen ist vor allem zu erkennen, ob die Sorge vor HIV so groß ist, dass eine klassische, rein auf das Übertragungsrisiko bezogene Beratungs- und Teststrategie nicht (mehr) ausreicht. In diesen Fällen, also bei Menschen mit großen Ängsten bei geringem Risiko, sollte ein Vorgehen gemäß der in den vorherigen Kapiteln dargestellten Beratungsempfehlungen gewählt werden.

Danksagung

Die Texte dieses Kapitels basieren auf der Arbeit eines Teams von kanadischen HIV/STI-Berater*innen, die sich zu einer „High HIV Anxiety No/Low Risk Working Group“ zusammenschlossen.

2024 wurde diese Handreichung grundlegend überarbeitet und enthält nun ergänzende Empfehlungen von Berater*innen aus Aidshilfen sowie Erfahrungen aus unseren Fortbildungen zu HIV-bezogenen Krankheitsängsten.

Quelle: Counselling Guidelines for Clients with High HIV Anxiety and No/ Low Risk. High HIV Anxiety No/Low Risk Working Group, Toronto. 2009 und deren Update 2021 (Hassle Free Clinic).https://www.catie.ca/sites/default/ files/HIVAnx%20counselguide%20 051409_0.pdf