Hilfreiche Strategien im Umgang mit Menschen mit hoher Angst ohne relevantem HIV-Risiko
Die Infomappe richtet sich an Berater*innen in Aidshilfen.
Ratsuchende, die Fragen rund um HIV, Geschlechtskrankheiten und sexuellem Wohlbefinden haben, können sich an unsere Onlineberatung unter www.aidshilfe-beratung.de wenden.
1. Übertragungsrisiken verständlich, aber zeitlich begrenzt klären
Nenne die relevanten Fakten zu HIV und zu Übertragungswegen und prüfe, ob der*die Klient*in sie verstanden hat. Wenn er*sie diese verstanden hat, wiederhole den Sachverhalt nicht. Diskutiere nicht über deine Einschätzung zum Risiko, das Gespräch kann sonst leicht den Charakter einer intellektuellen Auseinandersetzung annehmen und sich vom emotionalen Erleben des*der Klient*in entfernen. Eine wiederholte „Debatte“ der Fakten durch die Berater*innen kann von dem*der Klient*in als Ablehnung seiner*ihrer Wahrnehmung verstanden werden, sich in einer für ihn*sie bedrohlichen Situation zu befinden.
Die Folge: Die ratsuchende Person fühlt sich ungehört und muss immer neue Argumente bringen, um ihre Not darzustellen. Anstatt zu argumentieren, höre in Ruhe zu und versuche, die Perspektive dieser Person besser zu verstehen. Das Wissen darum, dass die Not und Bedrohungsempfindung von einem anderen Thema „gespeist“ wird, kann helfen, Mitgefühl aufzubauen. Versuche, die Gefühle zu erfragen und zu benennen, die der*die Klient*in erlebt. So kann es ängstlich machen, deutlich Symptome zu sehen oder zu fühlen bzw. das Gefühl zu haben, dass einem nicht geglaubt wird. Über eine Fokussierung auf die Gefühle kann das Gespräch eine neue Wendung nehmen. Auch wenn die Fokusverlagerung manchmal nur eine kurze Zeit funktioniert und der*die Klient*in im Gespräch wieder auf Symptome oder wahrgenommene Risiken zurückkommt, um zu „beweisen“, dass er*sie infiziert ist: Nimm die Risikobewertung nicht neu auf, sondern versuche die Gefühle und die Motivation zu verstehen, die hinter der wiederholten Beschreibung stehen.
Wenig hilfreich
„Symptome sagen nichts Eindeutiges über eine Infektion aus. Wenn der Test negativ ist, dann bist du negativ.“
- Diese Antwort berücksichtigt das sehr reale Leiden des*der Klientin nicht. Der*die Klientin sucht nun vielleicht nach überzeugenderen „Beweisen“.
- Der Stress für beide Gesprächspartner*innen erhöht sich.
„Wie ich bereits sagte, das Risiko ist minimal und eher theoretisch.“
- Klient*innen mit starken Ängsten haben oft das Gefühl, dass ihre Erfahrungen eher die Ausnahme als die Norm sind. Der*die Klient*in könnte zu dem Schluss kommen, dass das theoretische Risiko ein reales ist und sich in ihrer*seiner eher irrationalen Risikoeinschätzung bestätigt sehen.
Eher hilfreich
„Ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich beängstigend ist, all diese Symptome zu erleben …“ [Pause lassen und auf mögliche Bestätigung warten]
- Der*die Klient*in kann sich gehört fühlen und hat weniger das Bedürfnis, über Symptome sprechen zu müssen.
- Den Gemütszustand des*der Klient*in anzuerkennen, bedeutet nicht, mit seiner*ihrer Risikobewertung einverstanden zu sein.
„Wenn ich Ihnen sage, dass es sich um ein theoretisches oder geringes Risiko handelt, scheint das Ihre Ängste nicht zu lindern. Darüber würde ich gerne mit Ihnen sprechen, was denken Sie dazu?“
- Es ist wichtig, die Reaktionen der ratsuchenden Person zu beobachten und ihr zu spiegeln. Dies kann ihr helfen, Einsicht in ihre Situation zu entwickeln.
2. Warum negative Testergebnisse keine Erleichterung verschaffen
Man erkennt Menschen mit hoher Angst ohne relevantes Risiko unter anderem daran, dass Tests nicht die Erleichterung verschaffen, auf die sie (und wir) gehofft haben. Vielmehr stellen diese Klient*innen etwa die Genauigkeit des Tests oder die Handhabung der Proben in Frage.
Dass HIV-ängstliche Menschen nach einem negativen Testergebnis nicht langfristig erleichtert sind, kann unterschiedliche Ursachen haben. Viele dieser Klient*innen kommen zwar zum Test, um ihr „Risiko“ abklären zu lassen, sind aber eher durch andere, oft nur teilweise bewusste Themen belastet: moralische Ansprüche, religiöse Überzeugungen, Vorstellungen von Reinheit und Sicherheit, Vorstellungen von einer idealen Partnerschaft (z. B. absoluter Treue). Verschiedene Sorgen können eine Rolle spielen. Diese symbolischen Aspekte sind nicht unbedingt logisch oder wissenschaftlich und die daraus resultierenden Ängste können nicht allein durch ein negatives Testergebnis aufgelöst werden.
Wenn die auslösende Situation für den Test zum Beispiel ein Sexkontakt außerhalb der Beziehung war, kann ein negatives Ergebnis nicht von möglichen Schuldgefühlen oder Ängsten vor Verlust des*der Partner*in entlasten. Deine Aufgabe ist es nicht, die Angst zu nehmen, sondern die Bereitschaft zu zeigen, sie mit Einfühlungsvermögen zu erkunden. Dies kann ein wichtiger Schritt sein, dass Menschen über die Zeit lernen, ihre Ängste zunächst zu akzeptieren und sich dann schrittweise von ihnen zu distanzieren.
Hintergründe zu hypochondrischen Störungen
Studien zur Hypochondrie zeigen auf, dass es unterschiedliche Faktoren gibt, die Menschen anfälliger für krankheitsbezogene Ängste macht. Zum einen scheint es eine familiäre Häufung hypochondrischer Störungen zu geben. Ob dies genetische Ursachen hat oder es eher zu einem „Lernen am Modell“ kommt, ist nicht vollständig geklärt. Diskutiert werden weiterhin die überhäufige Erziehung zur Ängstlichkeit und Aufmerksamkeit auf körperliche Probleme in der Kindheit, der sekundäre Krankheitsgewinn (z. B. Schonung und stärkere elterliche Zuwendung bei Krankheit) oder auch tatsächliche lebensbedrohliche, traumatisierende Erkrankungen/Erlebnisse in der Kindheit und die Erfahrung von mangelnder Bindung zu Erziehungspersonen. In der HIV/STI-Beratung können wir diese Themen kaum bearbeiten, die Auflistung zeigt jedoch, dass die betroffenen Menschen aus einer Not heraus handeln, die oft eine lange Geschichte hat.
Wenig hilfreich
„Der Antikörpertest ist zu 99,6 % genau.“
„Ich mache das schon seit 20 Jahren. Ich habe noch nie erlebt, dass ein negativer Test außerhalb des Zeitfensters positiv wurde.“
- Diese Antworten, die eigentlich beruhigen sollen, können das Unbehagen verstärken. Die 0,4 %-ige Ungenauigkeit, die Grenzen deiner Erfahrung oder Details (z. B. über den PCR-Test) können zum nächsten Objekt der Aufmerksamkeit werden und die Angst verstärken.
„Wir können nicht einfach so öffentliche Mittel verbrauchen …“
- Dies kann den Kunden dazu veranlassen, eine Zahlung für weitere Tests anzubieten. Mit jedem weiteren Test vermeidet der*die Klient*in die Beschäftigung mit den symbolischen „Risiken“ und und kann die Ängste nicht abbauen.
Eher hilfreich
„Bei manchen Menschen kann ein negatives Ergebnis zu einer vorübergehenden Erleichterung führen, aber die Angst kann wiederkommen …“
- Vorübergehende Erleichterung kann ein Zeichen dafür sein, dass das zugrundeliegende Problem nicht gelöst wurde. Ermutige die ratsuchende Person, sich mit eurer Beratungsstelle oder entsprechenden Fachleuten in Verbindung zu setzen, wenn die Angst zurückkehrt. (Hier ist es sehr hilfreich, wenn du in der Beratungssituation auf Adressen, z. B. von geeigneten Psychotherapeut*innen oder auf Angsterkrankung spezialisierten Beratungsstellen/Selbsthilfegruppen, zurückgreifen kannst.)
- Nutze diese Gelegenheit, um mit der ratsuchenden Person eine Vereinbarung – z. B. über eine Einschränkung von Internetnutzung (zur Symptomabklärung), die Inanspruchnahme von Beratungshotlines, Onlineberatungen oder das Aufsuchen von Teststellen abzuschließen.
„Das Ergebnis ist also negativ, aber deine Angst hat sich nicht gelegt. Was bedeutet das für dich?“
- Kann dazu beitragen, Faktoren (z. B. Emotionen auf der symbolischen Ebene) anzusprechen, die es schwierig machen, dem Test zu vertrauen.
3. Dahinterliegende Themen und die Angst ansprechen
Höre zu und nimm die Hinweise der Klient*innen auf. Klingt das, was sie sagen, wie ein Urteil oder starke Selbstkritik? Werden Schuldgefühle, Bedauern oder Scham sichtbar? Klient*innen erwarten oft (möglicherweise unbewusst) eine Strafe oder Konsequenzen. (Der Wunsch nach einem HIV-Test könnte auch so etwas wie den Versuch einer „Absolution“ für ein Fehlverhalten darstellen.)
Diese Gefühle stehen oft in direktem Zusammenhang mit einem „Risiko“-Ereignis, manchmal ruft ein „Risiko“-Ereignis aber auch ungelöste Situationen aus dem früheren Leben hervor.
Leite ein Gespräch über diese Situationen ein, indem du spiegelst, was du von dem*der Klient*in hörst und beobachtest. Strebe kein bestimmtes Ergebnis an, sondern weise dem*der Klient*in nur die Richtung und gehe dann in seinem*ihrem Tempo weiter. Achte auf deine eigenen Grenzen und die des*der Klient*in. Bedränge sie*ihn nicht.
In der HIV/STI-Beratung können tieferliegenden Themen in der Regel nicht ausreichend bearbeitet werden. Möglich ist jedoch, sie zu benennen und mit dem*der Klient*in über Wege zu sprechen, wo sie bearbeitet werden könnten.
Eine weitere Möglichkeit ist, sich mit der ratsuchenden Person über das Phänomen „Angst/Ängstlichkeit“ eher allgemein auszutauschen. Wir versuchen dann herauszufinden, welche Strategien derdie Klientin schon kennt, um das Ausmaß der Angst/Ängstlichkeit zu reduzieren. Ohne auf den Inhalt der Angst oder dahinterliegende Themen einzugehen, können Fragen helfen, die den Fokus auf angstfreie Momente am Tag oder in der Woche lenken.
- Was hat dir in der Vergangenheit geholfen, wenn du ängstlich warst? (Variante: Was hat dir in der Vergangenheit zumindest ein klein wenig geholfen, wenn du ängstlich warst?)
- Wann ist die Angst besonders groß? Wann ist sie weniger vorhanden?
- Was war an den Tagen anders, an denen die Angst kleiner war?
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„Jeder macht Fehler.“
„Sag nicht, dass du dumm bist, du bist nicht dumm!“
- Das soll zwar beruhigen, führt aber dazu, dass das Gespräch über die Ängste abbricht.
„Ja, was du getan hast, war zwar ziemlich blöd, aber es war nichts Riskantes!“
„Diesmal hast du Glück gehabt. Sei dankbar, dass der Test negativ ist!“
- Der*die Beraterin verlässt seine*ihre Rolle und fängt an zu bewerten, dies kann zu Schuldgefühlen der ratsuchenden Person beitragen.
„Hörst du mir überhaupt zu? Wir haben das schon dreimal durchgekaut!“
Klient*innen zu zurechtzuweisen kann ein Zeichen sein, dass wir bereits verstrickt sind in einem Beratungsprozess. Wir werden ärgerlich, weil es nicht vorangeht, und erleben Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Ungeduld. Solche Gefühle sind okay und sehr nachvollziehbar – vor allem, wenn Ratsuchende uns doch so „uneinsichtig“ erscheinen. Wir sollten allerdings vermeiden, unseren Ärger darüber, dass die Beratung nicht so läuft, wie wir uns das wünschen, über aggressive Kommentare auszuagieren. Der*die Klient*in fühlt sich in der Folge abgelehnt und die Beratungssituation kann kippen. Besser ist es, bei eigener Überforderung die Antworten knapp und sachlich zu halten und das Gespräch dann zu beenden. „Ich habe alles gesagt, was ich Ihnen dazu sagen kann …“
Eher hilfreich
„Kannst du mir mehr über deine Erfahrung erzählen? Was meinst du mit: ,das war dumm, was ich getan habe‘ …“?
- Zeigt Interesse und gibt den Gefühlen der ratsuchenden Person einen Raum.
„Wann hast du angefangen, dich so ängstlich zu fühlen?“
„Warst du nach dem letzten negativen Testergebnis so ängstlich wie dieses Mal? Wenn nicht, was ist dieses Mal anders?“
„Wann ist deine Angst am größten/ intensivsten? Was ist anders, wenn die Angst nicht so groß ist?
„Wann im Alltag ist die Angst besonders groß? Was trägt neben den Symptomen noch zu deiner Angst bei?
- Mitunter gibt es „Trigger“, die Angst vor HIV oder anderen STIs fördern, aber gar nichts mit HIV oder Sexualität zu tun haben, z. B. berufliche Überforderung oder unbewältigte soziale Konflikte. Ein Blick auf diese Themen kann eventuell helfen, Verbindungen zwischen Lebensgestaltung und Angsterleben herzustellen.
„Wie wirkt sich diese Angst auf deine Beziehungen aus?“
- Dies kann ein Einstieg in ein Gespräch sein, in dem es um die Angst geht. Es kann den Kontext der Angst erhellen und Klient*innen dabei helfen, sich zu öffnen und für sie schwierige Themen zu besprechen.
4. Ideen zur Angstbewältigung entwickeln
Bei Menschen mit überstarken HIV/ STI-bezogenen Ängsten können sich diese Angstgefühle in verschiedenen Verhaltensweisen äußern. Einige Menschen wiederholen den Test mehrfach, recherchieren zwanghaft im Internet oder rufen immer wieder unterschiedliche Aidshilfen mit derselben Frage an. Dieses Sicherheitsverhalten ist typisch für hypochondrische Störungen, bringt aber nur kurzfristige Erleichterung und löst die Angst nicht nachhaltig.
Sich gedanklich von den möglichen Konsequenzen einer Erkrankung zu distanzieren, fällt diesen Personen schwer. Manche Menschen vermeiden Sex ganz oder teilweise bzw. erleben Sex nur unter Drogen, da diese auch Angst reduzieren können. Andere Menschen vermeiden geradezu jeglichen Gedanken an eine mögliche Infektion und suchen kein Testangebot auf, obwohl es möglicherweise sinnvoll wäre.
Ideen zur Angstbewältigung können die HIV-Beratung in einer sinnvollen Art erweitern. Die ratsuchende Person sollte bei der Suche nach Möglichkeiten der Angstbewältigung aktiv einbezogen und empowert werden. Indem der*die Klientin sich nicht auf sein*ihr Angstverhalten konzentriert (z. B. das Anrufen von Hotlines, das Surfen im Internet nach HIV-Symptomen, das wiederholte Testen usw.), kann er*sie seine*ihre Energie auf die Ursache der Angst und/ oder deren Lösung umlenken.
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„Du musst über die Ängste hinwegkommen!“
- Klient*innen müssen prinzipiell nichts. Ein solcher Satz kann als platt empfunden werden und lädt nicht dazu ein, eine Lösung zu finden.
„Ich habe dir schon so viele Lösungen genannt und weiß langsam nicht mehr, was ich dir noch sagen soll …“
- Das kann ein authentisches Gefühl sein und möglicherweise erlebst du gerade dieselbe Ohnmacht, die deine Klientin auch sehr gut kennt. (Konkordante Gegenübertragung). Wenn du diese Empfindung zum Anlass nimmst, über das Thema Hilflosigkeit zu sprechen, könnte es den Beratungsprozess voranbringen. Formulierst du den Satz allerdings wie oben, zeigt dies, dass deine Vorschläge möglicherweise unverständlich oder unrealistisch für die ratsuchende Person waren und die Beratungseinheit findet dadurch ein Ende.
Eher hilfreich
„Es kann verlockend sein, …
[das Angstverhalten, z. B. noch mal Testen] zu wiederholen. Aber …
[das von dem*der Klient*in genannte Verhalten] scheint deine Angst nicht nachhaltig zu lindern. Was denkst du dazu?“
„Wenn du dich sehr ängstlich fühlst oder einen starken Drang verspürst, … [das Angstverhalten] zu wiederholen, beobachte, was dies verursacht. Bist du dabei allein? Wie spät ist es? Was gibt es in deiner Umgebung?“
- Du kannst der ratsuchenden Person helfen, ihr eigenes Angstverhalten zu studieren und darauf einzuwirken. Mit der Zeit kann sie so lernen, die Quellen und Trigger ihrer Angst zu identifizieren.
„Ist es möglich, dieses angstverstärkende Verhalten einzuschränken oder zu reduzieren? Was ist im Moment für dich realistisch?“
„Was hilft dir generell, dich in Phasen der Angst besser zu fühlen?“
- Möglicherweise gibt es Erfahrungen mit Entspannungsmethoden, Gesprächen mit Freund*innen oder Sport, auf die der*die Klient*in zurückgreifen kann. Die Erfahrung, dass es möglich ist, Angst zu reduzieren, ohne auf irrationales Testen zurückzugreifen, kann die Selbstwirksamkeit von Klient*innen erhöhen.
5. Wiederholtes Testen kritisch hinterfragen
Wiederholtes Testen geht nicht auf die zugrundeliegenden Ängste von Menschen ein: die irrationalen HIV-Ängste. Vielmehr kann es den Kreislauf der Angst verstärken.
Bei vielen Menschen lindert das Testen die Angst nur vorübergehend, wenn überhaupt. Unnötige Tests können stattdessen sogar die Vorstellung verstärken, dass es tatsächlich ein Risiko oder einen Grund für einen Test gebe.
Trotzdem kann es mitunter Sinn machen, einen Test durchzuführen, auch wenn die geschilderte Situation dies nicht unbedingt rechtfertigt: zum Beispiel, um die Ängste des*der Klient*in etwas zu lindern, sodass er*sie sich besser auf dich einlassen kann und offen für den weiteren Beratungsverlauf ist.
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„Wir werden Sie heute nicht testen.“
- Wenn die Entscheidung, nicht zu testen, bei dem*der Berater*in liegt und sich die ratsuchende Person dagegen wehrt, entsteht eine asymmetrische Belastungssituation; in der Regel ist für Klient*innen so keine Lernerfahrung möglich.
„OK, wir werden Sie ein letztes Mal testen, aber nur noch einmal.“
- Testen, um Klient*innen zu beruhigen, ist keine nachhaltige Strategie. Manchmal tun wir dies, weil wir jemanden nicht mehr aushalten können – die dysfunktionale Verhaltensspirale wird dadurch jedoch nicht verändert. (Gleichwohl kann es trotzdem auch okay sein, einen Test nochmals durchzuführen. Es sollte dann aber eine bewusste Entscheidung unter Berücksichtigung der Angstdynamik sein.)
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„In der Vergangenheit haben Sie vielleicht festgestellt, dass Tests Ihre Ängste kurzzeitig lindern, aber dann kommen die Ängste wieder. Wenn es einen anderen Weg gäbe, diese Sorgen zu lösen, hätten Sie Interesse daran, ihn zu erkunden?“
- Die Identifizierung des Angstzyklus des*der Klient*in hilft ihm*ihr, Einsicht in seine*ihre Erfahrungen zu gewinnen; und ermutigt zu alternativen Handlungen, welche die Angst nachhaltig reduzieren können.
Wenn du von Tests abraten willst…
Fasse das (fehlende) Risiko, die Angstmuster, die Testergebnisse und andere Umstände des*der Klient*in zusammen:
„Ich schlage vor, dass wir heute keinen Test machen. Und stattdessen machen wir einen Plan, um Ihre Angst zu bekämpfen, denn das scheint das dringendste Problem zu sein.“
„Was hältst du davon, dich heute nicht testen zu lassen?“
- Um als Strategie wirksam zu sein, muss der Verzicht auf den Test eine Entscheidung des*der Klient*in oder zumindest eine gemeinsame Anstrengung sein. Die Entscheidung, nicht zu testen, sollte Klient*in und Berater*in verbinden, anstatt sie in eine Konfrontation zu führen.
„Wir können einen Test durchführen; nicht, weil Sie ein tatsächliches Risiko haben, sondern weil ich sehe, wie Ihre Ängste unserem Gespräch in die Quere kommen werden.“
- Hier wird das Testen als eine Möglichkeit angeboten, eine Verbindung mit dem*der Klient*in aufzunehmen. Wenn die ratsuchende Person sehr ängstlich ist, kann die Durchführung des Tests die Angst soweit deeskalieren, dass sie sich auf die Erforschung der Ursachen einlassen kann.
6. Bewusste Gestaltung von Pre- und Posttestberatung
Der Abschluss eines Beratungsgesprächs sollte bewusst gestaltet werden und folgt dabei in der Pretestberatung diesen Schritten:
- Zusammenfassen der Einschätzung des Übertragungsrisikos
- Zusammenfassen der im Beratungsgespräch (vor allem von dem*der Klient*in) erkannten Hintergründe der Ängste sowie der Möglichkeiten, diese zu beeinflussen
- Empfehlung für oder gegen den Test
Auch die Posttestberatung sollte bewusst gestaltet werden. Auch wenn in vielen Testeinrichtungen negative Testergebnisse mittlerweile eher kurz, zum Teil auch online, vermittelt werden, sollte bei sehr ängstlichen Klient*innen überlegt werden, der Ergebnismitteilung ausreichend Raum zu geben. Denn das Gespräch bietet die Möglichkeit, die Bedeutung des Testergebnisses noch einmal zu reflektieren.
Der Aufbau einer Posttestberatung von ängstlichen Klient*innen kann folgenden Aufbau haben:
- Mitteilung des Testergebnisses
- Beantwortung von Fragen
- Kurzes Erinnern der Gesprächsinhalte aus der Pretestberatung, zum Beispiel der Erkenntnisse zur Angstthematik oder der dahinterliegenden Themen
- Informationen über Unterstützung und Therapiemöglichkeiten (z. B. Paarberatung, lebensweltorientierte Sexualberatung, Psychotherapie, Selbsthilfegruppen)
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„Ich hoffe, dass Sie nun davon überzeugt sind, HIV-negativ zu sein …“
„Wenn Sie das nicht beruhigt, sollten Sie vielleicht eine*n Therapeut*in/Psychiater*in aufsuchen. Wir können Ihnen nicht helfen.“
- Solche Hinweise sind direktiv und kommen nicht aus der Perspektive des*der Klient*in.
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„Welche Dinge haben in der Vergangenheit solche Ängste bei dir ausgelöst und wie bist du damit umgegangen?“
- Dies hilft der ratsuchenden Person, auf Erfahrungen aufzubauen, indem eigene Stärken hervorgehoben werden.
„Du hast während deines Kampfes mit der Angst viel durchgemacht. Was hast du für dich gelernt? Fällt dir etwas ein, das du aus dieser Zeit in Erinnerung behalten möchtest?“
- Diese Fragen fördern einen Abschluss des Beratungsanlasses. Abschlüsse sind wichtig, weil sie die Erfahrung der ratsuchenden Person anerkennen und einen Zeitpunkt für die Veränderung markieren.
7. Umgang mit Bemerkungen, die dich triggern
Manchmal verletzen uns Klient*innen oder lösen etwas aus, das uns emotional beschäftigt.
Häufige Auslöser sind:
- Abfällige Bemerkungen über Menschen, die mit HIV leben oder Gruppen, die gemeinhin mit HIV in Verbindung gebracht und/oder diskriminiert werden
- Deine Kompetenz oder die Arbeit deiner Organisation wird in Frage gestellt.
- Enthüllungen über Missbrauch, Betrug oder aggressives Verhalten
- Das Beratungsthema ist sehr nah an einem emotional besetzten Thema, mit dem sich auch die*der Berater*in persönlich beschäftigt.
Lasse nicht zu, dass deine Trigger das Gespräch dominieren. Achte darauf, ob du in der Lage bist, die Beratung auf eine faire, nicht wertende und klient*innenzentrierte Weise fortzusetzen. Wenn ja, mache weiter. Wenn nicht, wende vorher eingeübte Bewältigungs-strategien an:
Beispiele:
- tief durchatmen, auf den eigenen Atem konzentrieren
- das Gespräch unterbrechen, ggf. den Raum kurz verlassen, um z. B. ein Glas Wasser zu holen
- Verstörung ansprechen
- Kolleg*innen um Rat bitten
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„Aids ist keine Strafe!“
„Was du gesagt hast, ist wirklich homophob!“
„Nun, ich gehöre zu der sozialen Gruppe, die Sie gerade schlechtgeredet haben!“
„Du musst aufhören, das zu sagen.“
- Wenn du wütend, abweisend oder argumentativ wirst, verschiebt sich der Fokus auf ein abstraktes Problem, zum Beispiel eine politische Haltung, statt die Voreingenommenheit des*der Klient*in als Teil seiner*ihrer Angst anzuerkennen. Konzentriere dich auf die Gefühle, die hinter der Aussage stehen, und nicht auf deren Wahrhaftigkeit oder Fairness.
„Sie sollten Ihrem Partner sagen, dass Sie ihn betrogen haben. Das ist das Richtige.“
- Sei vorsichtig, wenn du merkst, dass du deine eigene Agenda durchsetzen willst.
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„Was würde es für dich bedeuten, HIV zu bekommen?“
„Wenn du so über ……………. [eine bestimmte Gruppe von Menschen] denkst, wie fühlst du dich dann, wenn du Sex mit ihnen hast?“
- Kann das Verständnis des*der Berater*in für die Weltanschauung der ratsuchenden Person stärken, um mehr zu verstehen, auf was die Ängste der ratsuchenden Person gründen.
„Können wir während dieser Sitzung das Wort …………… anstelle von …………… [Begriff, den du ablehnst] verwenden? Das würde mir helfen, dich besser zu verstehen und mit dir im Kontakt zu bleiben.“
- Eine Möglichkeit, Grenzen für das Beratungsgespräch zu setzen.
„Welche Auswirkungen hat es für dich/ euch, wenn du deine Außenbeziehung deinem Partner verschweigst?“
- Du versuchst, den*die Klient*in zu verstehen, anstatt ihm*ihr deine Version der Moral aufzuzwingen.
Strategien nach dem Beratungsgespräch
- Sprich mit anderen Berater*innen über das, was du erlebt hast. Nutze die Möglichkeit zur kollegialen Beratung, Intervision oder Supervision.
- Erwarte nicht zu viel von dir: Du bist nicht für die Lösung der Probleme des*der Klient*in verantwortlich, sondern kannst nur Begleiter*in und Unterstützer*in sein.
- Sei freundlich mit dir, wenn du das Gefühl hast, dass du nicht so effektiv warst, wie du es gerne gewesen wärst.
- Überlege, was du gelernt hast und woran du noch arbeiten kannst.
- Als Berater*in gehört es zu deinem professionellen Handeln, anderen auch deine Grenzen aufzuzeigen. Wenn dir das manchmal schwer fällt, lobe dich ruhig dafür, dass du etwas Schwieriges geschafft hast.
8. Selbstfürsorge für Berater*innen
Menschen dabei zu helfen, emotionale Schmerzen, Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und Beziehungsschwierigkeiten zu erkennen und zu untersuchen, kann Berater*innen stark fordern und eigene Themen berühren. Aus diesem Grund ist es wichtig, eigene Grenzen zu akzeptieren und hilfreiche Methoden zu kennen, um sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Selbstfürsorge bedeutet für jede*n etwas Anderes, sie kann eine Reihe von Aktivitäten umfassen, die ein „Ausbrennen“ verhindern sowie das geistige und körperliche Wohlbefinden verbessern. Auch effektivere Beratungsstrategien können Teil der Selbstfürsorge sein – sie helfen Berater*innen, schwierige Interaktionen leichter zu bewältigen.
Schutz vor Burn-Out und Überlastung liegt aber nicht nur in der Verantwortung der einzelnen Berater*innen. Jede Arbeitsstelle muss die Gesundheit der Menschen, die für sie arbeiten, schützen. Deshalb sollten Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die die kollegiale Unterstützung fördern. Dies kann z. B. durch Angebote von Intervision, Supervision und kontinuierlicher Weiterbildung verwirklicht werden.
Zudem kann es helfen, sich mit Kolleg*innen zusammenzusetzen und Stressoren zu benennen, die das Team neben der Klient*innenarbeit zusätzlich belasten. In dem Zusammenhang kann überprüft werden, wie es um gesundheitsförderliche Strukturen steht, z. B.
Rückzugsorte nach der Klient*innenarbeit oder eine förderliche Struktur des Beratungsangebotes (zwei Kolleg*innen vor Ort, falls eine Beratung einmal schwierig wird), für das Team verbindliche Leitlinien für den Umgang mit besonders fordernden Klient*innen etc.
Hilfreiche Strategien
- Achte auf deine Gefühle und nimm negative Gefühle ernst. Sie können eine hilfreiche Informationsquelle sein und dir helfen, deine Grenzen zu spüren oder das Anliegen deines*deiner Klient*in besser zu verstehen.
- Sorge nach einem intensiven Klient*innengespräch für dich. Tausche dich mit Kolleg*innen aus, trinke etwas oder verschaffe dir etwas Bewegung. Tue das, was dir guttut und – wenn möglich – mache eine Pause, bevor du mit dem*der nächsten Klient*in in den Kontakt gehst. Manchen hilft es auch, sich Notizen zu den eigenen Gefühlen zu machen – und so Klarheit über das eigene Befinden zu bekommen, um dann auch wieder Abstand zu entwickeln.
- Nach einem anstrengenden Dienst kann es hilfreich sein, sich über Sport, Kontakt mit guten Freund*innen oder anderen schönen Erfahrungen wieder mit sich selbst und positiven Aspekten der Welt zu verbinden.
- Menschen in helfenden Berufen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Burn-Out. Achte auf Anzeichen von beruflichem Burn-Out bei dir selbst oder Kolleg*innen:
- Zunehmend zynisch, kritisch, wütend oder reizbar zu sein
- Energieverlust und das Gefühl verspüren, vor unüberwindbaren Hindernissen zu stehen
- Verlust der Fähigkeit, Freude am Leben und an der Arbeit zu haben
- Wende dich an deine Teamleitung/ deine*n Vorgesetzte*n, wenn du merkst, dass dich die Arbeit immer stärker belastet und scheue dich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
9. Professionell weiterverweisen
Ob in einer Psychotherapie, Paarberatung oder Selbsthilfegruppe: Über die eigenen Ängste und Bedürfnisse zu sprechen stellt eine wirksame Möglichkeit dar, Ängste abzubauen und eine größere Selbstsicherheit zu erlangen.
Obwohl die Wirksamkeit von Psychotherapie und Selbsthilfe bei psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung vielfach belegt ist, fällt es vielen (auch Professionellen) nicht leicht, Klient*innen direkt drauf anzusprechen. Mitunter besteht die Sorge, dem Gegenüber mit diesem Thema zu nahe zu treten. Die meisten Menschen erleben es jedoch sehr positiv, wenn ihre psychische Not als solche gesehen wird und sie auf professionelle Hilfsmöglichkeiten respektvoll angesprochen werden. Je selbstverständlicher wir über Angebote, wie einer Psychotherapie oder Selbsthilfegruppe sprechen, desto eher nehmen es ratsuchende Menschen an.
Psychotherapie
Bei rechtzeitiger Behandlung können Menschen mit einer hypochondrischen Störung oder Angsterkrankung von einer Psychotherapie im hohen Maße profitieren. In einer Kurzberatung in der Aidshilfe können die verschiedenen Wege zu einer Psychotherapie dargestellt werden. Klient*innen sollten im Gespräch motiviert werden, nicht gleich die „Flinte ins Korn“ zu werfen, wenn sie nach ein oder zwei Anrufen noch keinen Therapieplatz gefunden haben. Da ambulante Psychotherapeut*innen oft keine freien Plätze haben, muss etwas Wartezeit eingeplant werden. Zudem ist Psychotherapie etwas sehr Persönliches, nicht jede*r Therapeut*in passt zu jeder*m Klient*in.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen können über ihre Terminservicestellen bei der Suche nach freien Therapieplätzen helfen. Sie sind verpflichtet, einen Sprechstundentermin für ein Erstgespräch innerhalb von vier Wochen zu organisieren. Die Terminservicestellen sind bundesweit über die Rufnummer 116117 erreichbar. Einige bieten auch Terminvermittlung über das Internet an. Ein bundesweiten Überblick findest du unter ▶ https://www.krankenkassen. de/gesundheit/terminservicestelle/
Wenn es nicht möglich ist, in einer Region eine*n Psychotherapeut*in zu finden, besteht die Möglichkeit, eine Psychotherapie im Kostenerstattungsverfahren bei einem*r Psychotherapeut*in ohne Kassenzulassung aufzunehmen. Dieser Anspruch ist in § 13 Absatz 3 SGB V gesetzlich geregelt. Allerdings ist es nötig nachzuweisen, dass mensch mehrere Ablehnungen von Psychotherapeut*innen bekommen hat bzw. die Terminservicestellen nicht weiterhelfen konnten. Die Krankenkasse muss diesem Vorgehen vor Aufnahme der Therapie gesondert zustimmen.
Eine Beschreibung des Verfahrens findet sich in einem Faltblatt der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (https://www.dptv.de/fileadmin/Redaktion/Bilder_und_Dokumente/Wissensdatenbank_oeffentlich/Broschuere/ DPtV-Faltblatt_Kosten.pdf) sowie unter ▶ www.therapie.de
Selbsthilfegruppen
Selbsthilfegruppen können in vielen Bereichen Unterstützung bieten. Leider gibt es nur wenige Selbsthilfeangebote für Menschen mit krankheitsbezogen Ängsten. Mitunter kann es hilfreich sein, Klient*innen auf Angst-Selbsthilfegruppen zu verweisen, wenn es diese in der Region gibt. Suchmaschinen für Selbsthilfegruppen finden sich u. a. hier:
NAKOS:
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e. V. unter:
Die Deutsche Angst-Hilfe:
Weitere Online Gruppen:
Paarberatung
Wenn Menschen einen HIV oder STITest wünschen, tauchen nicht selten Beziehungsthemen in der Beratung auf. Diese können einzeln oder – meist besser – mit den Partner*innen gemeinsam angegangen werden. AidshilfeBerater*innen sollten die Adressen von Paarberatungsstellen vorrätig halten bzw. wissen, auf wen sie innerhalb ihrer eigenen Einrichtung verweisen können.
Sexualberatung
Sexualberatung ist keine Kassenleistung und muss in der Regel selbst bezahlt werden. Sie wird durch freiberuflich tätige Sexualtherapeut*innen angeboten in Beratungseinrichtungen wie ProFamilia. Auch die Deutsche Aidshilfe bildet seit 2023 Berater*innen in Sexualberatung aus. Diese werden im Besonderen darin geschult, Menschen zu beraten, die Sexualität außerhalb der Norm leben. Mehr Informationen dazu unter: www.aidshilfe.de/Sexualberatung