Handreichung zur Anpassung der Angebote in Aids- und Drogenhilfe für Crack-Konsument*innen
Einleitung
Diese Handreichung baut auf die im Januar 2023 verabschiedeten „Empfehlungen zum Umgang mit Crackkonsum in der Drogenhilfe“¹ auf, die im Rahmen einer Fachtagung erarbeitet wurden und den fachlichen und politischen Diskurs unterstützen sollen. Die Bundearbeitsgemeinschaft der Betreiber*innen von Drogenkonsumräumen in Deutschland trug im Rahmen ihrer Jahrestagung im Oktober 2023 in Berlin bereits regional existierende Angebote und Erfahrungen für Crackkonsument*innen zusammen. Ergänzt werden die Maßnahmen für die Praxis durch weitere Vorschläge, die bisher noch nicht umgesetzt wurden.
Verbindendes Element der im Folgenden formulierten Maßnahmen für die Praxis ist, dass sie die durch den Konsum und den Aufenthalt von Drogenkonsument*innen in der Öffentlichkeit entstehenden Probleme reduzieren sollen. Im Mittelpunkt steht hier, für Crackkonsument*innen szenenahe und lebensweltorientierte Angebote der Schadensminderung und Gesundheitsförderung vorzustellen. Diese Maßnahmen kennzeichnen sich dadurch, dass sie kurzfristig, einfach und in der Mehrzahl ohne große finanzielle Investitionen umsetzbar sind um die negativen sozialen, körperlichen und psychischen Auswirkungen des Crackkonsums möglichst passgenaue Angebote entgegenzusetzen.
Entwicklung des Crackkonsums in Deutschland
Nachdem der Konsum von rauchbarem Kokain (Crack) über viele Jahre und Jahrzehnte in den Städten Hamburg, Frankfurt und Hannover fest verortet war, zeigt sich in den letzten Jahren eine deutlich höhere Verfügbarkeit von rauchbarem Kokain (Crack) fast in allen Regionen und Städten Deutschlands.
Es wird deutlich, dass Kokainpulver mit einem hohen Reinheitsgehalt (80% und mehr) verfügbar ist und aufgrund der geringen Preise (ca. 60-80€ je Gramm) auch an Endverbraucher*innen auf den offenen Drogenszenen verkauft wird. Die Zunahme des Kokain- und Crackkonsums² erfordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Begleiterscheinungen.
Vom Pulver zum Stein und die Folgen
Während bis vor wenigen Jahren Kokain fast ausschließlich in Pulverform erhältlich war und Konsument*innen die Zubereitung zu Hause oder in Drogenkonsumräumen vornahmen, wird die Substanz heute auch als „Steine“ verkauft.
Dies führt dazu, dass der Konsum heute direkt in der Öffentlichkeit bzw. im Umfeld von Drogenhilfeeinrichtungen stattfindet. Anders als beim Opioidkonsum ist der Drang des fortwährenden Konsums deutlich stärker ausgeprägt. Die mit dem Konsum verbundene Verdrängung von Müdigkeitsgefühlen führt dazu, dass Konsument*innen nach Dauerkonsum vielfach völlig übermüdet in der Öffentlich einschlafen. Dies wiederum führt zur verstärkten Sichtbarkeit von Drogenkonsument*innen in der Öffentlichkeit und dem dort stattfindenden Konsum. Die mit dem Konsum von Crack verbundene Gier nach einer erneuten Konsumeinheit lässt Konsument*innen dauerhaft auf der Szene verweilen.³
Bei der in der Betrachtung stehenden Gruppe handelt es sich kaum um neue Konsument*innen, sondern um Menschen, die der Drogenszene bereits seit vielen Jahren angehören. Viele von ihnen sind substituiert oder konsumieren seit Langem Heroin. Auffällig ist, dass in Berlin, aber auch in anderen Städten diese Szene migrantisch geprägt ist. Es gibt Hinweise darauf, dass viele Migrant*innen, die Crack konsumieren, erst kürzere Zeit in Deutschland sind. Zudem wird deutlich, dass sie wenig Zugang zu Hilfs- und vor allem zu Behandlungsangeboten haben. Dies hängt mit dem häufig ungeklärten Aufenthaltsstatus und dem deshalb fehlenden Krankenversicherungsschutz zusammen. Auch sind Migrant*innen die Crack konsumieren und geflüchtete Menschen oftmals von Versorgungslücken betroffen, die mit Sprachbarrieren (wenig Deutschkenntnisse der Personen und mangelnde Angebote für Sprachmittlung) zusammenhängen. Viele sind ohne Obdach und verbringen die Nächte im Umfeld der Drogenszenen oder an anderen Orten wie z.B. in Notschlafstellen.
Die körperlichen und mentalen Folgen des Konsums
Das Craving und die Toleranzentwicklung sind bei Crackkonsum deutlicher ausgeprägt als bei Opioidkonsument*innen. Es besteht eine hohe Komorbidität vor allem mit Persönlichkeits- und affektiven Störungen. Bisher haben die wenigen Bemühungen und Versuche der medikamentöse Behandlung der Kokainabhängigkeit keine ausreichende Effektivität gezeigt, während verschiedene schadensmindernde Interventionen eine positive Wirkung erzielten.⁴
Der „Alltag auf Crack“ bietet kaum Erholungsphasen für die Gebraucher*innen, bis z.T. körperliche Erschöpfungszustände und Zusammenbrüche erreicht sind. In diesen Phasen lässt sich bei Konsumierenden ein ständiger Wechsel von Euphorie und Dysphorie verzeichnen. Die psychoaktive Substanz führt häufig zu einem verstärkten Selbstbewusstsein, das sich beim Abklingen der Rauschwirkung in Leere und Depression verändert. Hieraus ergibt sich ein starker Drang nach erneutem Konsum.
Häufig kommt es zu Konflikten der Konsumierenden untereinander sowie zu Schwierigkeiten bei der Einhaltung von Hausordnungen und Regelungen der Drogenhilfeeinrichtungen. Erkrankungen der Atemwege sowie Schädigungen des Zahnstatus und des Mundraums in Folge des Rauchkonsums, Infektionen aufgrund mangelnder Hygiene und Gewichtsverlust wegen Mangel- und Fehlernährung können weitere Auswirkungen des intensiven Konsums sein.⁵
¹ HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN zum Umgang mit Crack-Konsum im Kontext der Drogen- und Suchthilfe
² REITOX-Bericht 2022: Die 12-Monats-Prävalenz von Crack und Kokain ist seit 2015 beobachtbar ansteigend (2015: 0,6 %, 2018: 1,2 %, 2021: 1,6 %) (ESA 2021, bisher unveröffentlichte Ergebnisse).
³ Open Drug Scene Cologne – Survey (ODSC, 2023) – Ergebnisse zur Szenebefragung mit quantitativen und qualitativen Merkmalen zu erfragen beim Autor Daniel Deimel: d.deimel@katho-nrw.de
⁴ Siehe Körperliche und Psychische Folgen des Kokain- und Crackkonsums (2002)
⁵ Vgl. Handlungsempfehlungen