Spezifische Fragestellungen im Aidshilfe- und Selbsthilfe-Kontext

„Betroffen“ impliziert Leid und Schmerz. All das ist bei uns nicht mehr an der Tagesordnung. Wir sind Menschen mit HIV. Wir haben uns eine Kompetenz errungen im Wissen über HIV.

Florian (er/ihm), aktiv in der Selbsthilfe

In unserer Arbeit kommen wir täglich mit vielfältigen Menschen zusammen. Dabei tauchen Begriffe wie „Betroffene“ oder „Klient*innen“ immer wieder auf, die von Menschen mit HIV als abwertend und als Fremdzuschreibung wahrgenommen werden. Beide Begriffe markieren ein Abhängigkeitsverhältnis und haben einen bevormundenden Charakter. Der Beratungsgrundsatz „Begegnung auf Augenhöhe“ muss sich auch in der Sprache wiederfinden.

Alternativ können Begriffe wie Menschen mit HIV, Ratsuchende oder Besucher*innen benutzt werden. So ist auch der Begriff der „Betroffenenkompetenz“ kritisch zu reflektieren. Die Kompetenz(en) werden hier auf ein Merkmal reduziert. „Betroffen sein“ ist mit Leid und Defizit assoziiert. So würde man z. B. nicht über die Betroffenenkompetenz schwuler Männer sprechen.

Ist das Wissen von Menschen, die mit HIV leben, gefragt, lässt sich dies mit dem Begriff „Erfahrungskompetenz“ besser beschreiben. Damit wird der Unterschied zum erlernten Wissen, über das z. B. Mediziner*innen verfügen, deutlich, ohne dabei abzuwerten.

Bei der Reflexion und Anpassung der Präventionsbotschaften sollte immer darauf geachtet werden, wer mit der Botschaft erreicht werden soll. Für wen ist die Botschaft relevant? Spricht die gewählte Bezeichnung auch alle an, die man erreichen möchte? Mit der genauen Anrede der Zielgruppe können alle von dem Angebot profitieren.

Zur Veranschaulichung

„Menschen, die eine ungewollte Schwangerschaft verhindern wollen, können die ,Pille danach‘ nehmen.“ – Diese Botschaft inkludiert trans* Männer, inter* Menschen sowie nicht-binäre Menschen, die schwanger werden können.

Denn:

„Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft verhindern wollen, können die ,Pille danach‘ nehmen“ wäre in doppelter Hinsicht trans*-exklusiv, da trans* Männer schwanger werden können, trans* Frauen, die ja auch Frauen sind, aber nicht.

Oder:

„Menschen, die sich vor dem Risiko einer HIV-Infektion schützen möchten“ schreiben statt „MSM“ oder „schwule Männer“, wenn es z. B. um die PrEP geht, damit nicht der Eindruck entsteht, die PrEP käme nur für MSM infrage.

Selbsthilfe und Community

„Die Schwulen“ oder „die Positiven“ gibt es nicht. Menschen auf ein Merkmal zu begrenzen, wird ihrer Unterschiedlichkeit nicht gerecht und erzeugt Stereotype.

Die breite thematische Aufstellung der Arbeit in den Aidshilfen und Selbsthilfen muss sich auch im Sprachgebrauch widerspiegeln. Vielfalt und Heterogenität der Gruppen zeigen sich wesentlich besser durch Formulierungen in der Mehrzahl. Wir sollten daher von „den schwulen Männern“, „den Menschen mit HIV,“ „den Communitys“ sprechen.

ART, DAS, DAH, AHs …? In festen Gruppen und Teams können sich „Insider“ und Sprachcodes entwickeln, die nach außen als große sprachliche Barrieren wirken können. Dies gilt es zu vermeiden. Es lohnt sich, den internen Sprachgebrauch kritisch zu überdenken, um eine möglichst gleichberechtigte und offene Atmosphäre sicherzustellen – damit alle teilhaben können.

Sprache kann Brücken bauen, wenn sie sich am Gegenüber orientiert. Es ist deshalb wichtig, sich immer gegenseitig dabei zu unterstützen und zu erinnern, diskriminierungsfrei zu sprechen. Die Standards für die schriftliche und mündliche Sprache sollten gemeinsam erarbeitet, dokumentiert und eingeübt werden, sodass jede*r davon profitiert.