Was brauchen Sexarbeiter*innen?

Foto: Johannes Berger

Zwei Jahre lang hat die DAH zu den gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeiter*innen geforscht. Zehn Peer-Forscher*innen, darunter Caspar Tate, setzten deutschlandweit elf Fokusgruppen in fünf Sprachen um. Insgesamt 80 Sexarbeiter*innen aus 23 Herkunftsländern haben in den moderierten Gruppengesprächen ihre Erfahrungen geteilt, darunter Menschen, die illegale Drogen konsumieren, trans Menschen, Schwarze Menschen sowie Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen. Die Studie hat vier Kernprobleme identifiziert, die Sexarbeiter*innen am Schutz ihrer Gesundheit hindern: Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt, finanzielle Not, psychische Belastungen (oft im Zusammenhang mit Stigmatisierung) sowie fehlende Legalität und die Angst vor Strafverfolgung (etwa aufgrund von Sperrbezirken oder bei fehlender Anmeldung nach dem Prostituiertenschutzgesetz, bei Menschen ohne Aufenthaltspapiere die Angst vor Abschiebung). Viele Teilnehmende sprechen dem Thema sexuelle Gesundheit eine große Bedeutung zu. Sie wünschen sich mehr Informationen, besonders zur HIV-PrEP und -PEP.

Sex ohne Kondom werde immer mehr nachgefragt – ein Trend, der Sexarbeiter*innen zunehmend unter Druck setzt. Eine zentrale Hürde für viele ist ein fehlender Kran-
kenversicherungsschutz. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit struktureller Veränderungen. Kernempfehlungen sind u. a.:

Unterstützen statt bestrafen: Kriminalisierung beenden; mehr Sozialarbeit, Beratung und Prävention sowie Räume, wo Sexarbeiter*innen sich austauschen und gegenseitig stärken können.

Prävention auch für Kunden: zur Förderung von Respekt, fairen Preisen, Kondomnutzung sowie der Aufklärung zu HIV und Geschlechtskrankheiten.

Angebote des Öffentlichen Gesundheitsdienstes optimieren: damit Sexarbeiter*innen überall in Deutschland bedarfsgerechte Angebote bekommen.

Informationen und vereinfachter Zugang zur HIV-PrEP und -PEP sowie Zugang zur HIV-Therapie – auch für Sexarbeiter*innen ohne Aufenthaltspapiere oder Krankenversicherung.

„Was bedeutet Sexarbeit für euch?“

Die Studie widerlegt die verbreitete Unterteilung in „unfreiwillige Prostituierte“ und „selbstbestimmte Sexarbeiter*innen“. Die Teilnehmenden beschreiben äußerst komplexe und vielfältige Empfindungen gegenüber ihrer Tätigkeit. Allen gemeinsam ist, dass sie über Sexarbeit als Arbeit sprechen. Oft ist sie die beste Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu sichern.

„Es ist der einfachste Weg für uns, an Geld zu kommen. Es ist etwas, das wir mögen – Sex –, also kombinieren wir es mit Arbeit.“ – Megan aus Venezuela

„Jeden einzelnen Tag gehe ich zur Arbeit, bezahle mir und meinen Kindern die Versicherungen, bezahle mir auf diese Weise meine Wohnung, weil sie mir sonst niemand bezahlt. Und natürlich geht es mir sehr gut. Ich habe Zeit für meine Kinder. Ja, ich habe Zeit für alles.“ – Nadia aus Bulgarien

„Für mich ist Sexarbeit hauptsächlich – also im Moment, da ich im Moment drauf bin –, meine Krankheit zu finanzieren und einen großen Teil zum Überleben.“ – Carla aus Italien

„Ich mache es wegen Geld, damit ich meinen Eltern in Bulgarien helfe und überlebe
und über die Runden komme. Manchmal machen wir es beispielsweise ohne Leiden-
schaft und gezwungenermaßen, aber wir müssen es für Geld tun.“
– Deniz aus Bulgarien