Besserer Schutz für Kinder: Bremen verschärft Regeln für Substitution

Vertreter der Apotheker- und Ärztekammer, der Kinderärzte, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Jugend- beziehungsweise Sozialämter in Bremen haben gemeinsam strengere Standards für den Umgang mit Substitutionspatienten vereinbart.

Eine „Take-Home-Vergabe“, bei der Substitutionsmittel wie Methadon für mehrere Tage mitgegeben werden, wird nur noch für solche Patienten möglich sein, die über eine eigene Wohnung verfügen sowie weder Alkohol noch andere Drogen zu sich nehmen (Beikonsum). Drogenabhängige Eltern dürfen ihr Substitutionsmedikament zudem nur noch dann mit nach Hause nehmen, wenn der behandelnde Arzt und das Jugendamt ihre Zuverlässigkeit bescheinigt haben.

Ärzte sollen zudem von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, um dem Jugendamt melden zu können, wenn ihre Substitutionspatienten in einem Haushalt mit Kindern leben. Auch soll künftig für die Patienten eine psychosoziale Betreuung durch eine örtliche Drogenhilfeeinrichtung verpflichtend sein. Bislang habe nur rund die Hälfte von ihnen eine solche Betreuung erhalten, heißt es in einem Beitrag in der Ärzte-Zeitung vom 31. Mai.

Der Maßnahmenkatalog des im vergangenen Jahr eingerichteten Runden Tisches ist eine Reaktion auf Untersuchungen, die 2011 durchgeführt wurden. Dabei wurden bei 69 von 88 in Bremen untersuchten Kindern suchtkranker Eltern in Haarproben Rückstände von Drogen festgestellt; in Bremerhaven wurde man in 20 von 24 Fällen fündig.

Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen AIDS-Hilfe, begrüßt grundsätzlich das Bemühen der Behörden und Gesundheitseinrichtungen, das Wohl von Kindern, die mit Substitutionspatienten leben, zu fördern und zu schützen.

Den Bremer Maßnahmenkatalog allerdings betrachtet Schäffer mit Skepsis. Zwar sei es auch für ihn nachvollziehbar, dass Patienten mit Beikonsum von der Take-Home-Vergabe ausgeschlossen werden. Dies diene nicht zuletzt dem Schutz der Patienten selbst, denn Substitutionsmittel könnten in Verbindung mit Alkohol bzw. Benzodiazepinen eine tödliche Wirkung haben.

„Durch die Entbindung der Ärzte von ihrer Schweigepflicht allerdings werden sämtliche substituierten Mütter und Väter unter Generalverdacht gestellt“, gibt Schäffer zu bedenken. „Dabei gibt es aus der Praxis zahlreiche Fälle, bei denen gerade die Elternschaft maßgeblich zu einer positiven Entwicklung der substituierten Patienten geführt hat.“ Er befürchtet nun, dass substituierte Eltern die Existenz ihrer Kinder verstärkt verheimlichen oder verschleiern. „Hierdurch würde das Einschreiten bei einer Gefährdung des Kindeswohls viel schwerer, wenn nicht gar unmöglich“, so der DAH-Drogenreferent.

Dass die Schweigepflichtbindung keine unbedingt notwendige Voraussetzung ist, um Kinder von Substitutionspatienten zu schützen, bestätigte Anton Bartling von der Bremer Sozialbehörde. „Bei Kindeswohlgefährdung geht selbstverständlich weiterhin Kinderschutz vor Datenschutz“, erklärte er gegenüber der „Ärzte-Zeitung“. In einem solchen Falle könnte ein Arzt jederzeit auch ohne Schweigepflichtentbindung die Behörden über eine mögliche Gefährdung unterrichten.

Dirk Schäffer vermisst im Bremer Maßnahmenkatalog praxisnahe und nicht stigmatisierende Lösungen. Dies könnten beispielsweise eine verpflichtende Beratung von substituierten Vätern bzw. Müttern zur Lagerung und Sicherung der Medikamente im Haushalt oder Gruppenangebote sein, bei denen sich Patienten sanktionsfrei über ihre Probleme beim Thema Elternschaft und Substitution austauschen können.

(sho)

 

Quelle:

Beitrag auf aerztezeitung.de vom 31.05.2012

Interview mit dem Substitutionsarzt Dr. John Koc und dem Kinder- und Jugendarzt Stefan Trapp auf taz.de vom 02.01.2012

Beitrag von Dr. John Koc im Newsletter 51 der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, Juni 2011 (PDF-Datei)